Samstag, 29. Juni 2013

Coming out




Ich mag Fußball- und das ist gut so!







































Ich bin in einer Kleinstadt in der Nähe von Bonn aufgewachsen. Auch wenn das beschauliche Meckenheim namentlich zur „Voreifel“ gehört, waren die Berge sowie auch jeglicher Bergsport sowohl geografisch, als auch in unserer Wahrnehmung weit, weit entfernt. Die Zeit der Kletterhallen war noch nicht angebrochen und wenn sie es wäre, wäre bestimmt kein halbwegs geschäftstüchtiger Kletterhallenbetreiber in spe auf die Idee gekommen sein Geld in Meckenheim zu begraben. Dementsprechend steckten wir, bzw. unsere Eltern, unsere sportlichen Ambitionen in gängige Vereinssportarten. Als ein missglücktes Jahr an der Blockflöte meiner Eltern letzte Hoffnung schürten, meine Talente in sportlichen Disziplinen zu finden, wurde ich im zarten Alter von sechs Jahren kurzerhand zum Nachwuchs- Beckenbauer gemacht. 


Bergsport als Ausgleich zum Kicken
Meine Trainerin war eine massige, rotgelockte Kante, die mit einem riesigen Schlüsselbund und einer mehr als ruppigen Art mehr Autorität ausstrahlte, als alle bis dato mit meiner  Erziehung beauftragten Menschen zusammen. Wahrscheinlich sogar mehr als Rocky, Rambo und meine Flötenlehrerin gemeinsam. Frau Friedenstab, wie sie unpassender Weise hieß, verzweifelte anfangs an meinem sehr unausgegorenen Regelverständnis.  So erschien es mir doch wesentlich leichter und effektiver den Ball vor dem Sturm durch die gegnerischen Reihen unter den Arm zu klemmen, damit er mir nicht wie schon so häufig direkt wieder abgenommen wird. Ebenso fand ich es für einen überschwänglichen Torjubel unerheblich, dass ich nach vielen Wochen harter Arbeit mein erstes Tor auf der falschen Seite einköpfte. Trotz aller Schwierigkeiten im Training kam endlich die Chance zu zeigen, was in mir steckt. Ich lief auf im Dress des SV Rot-Weiß-Merl. 

Das gesamte Outfit war noch recht improvisiert, und so spielte ich zwar in einer weißen Hose, welche aber nicht die eigentliche Bestimmung hatte Sportler zu bekleiden. Es handelte sich vielmehr um eine normale kurze weiße Hose. Im Gegensatz zu einer echten Fußballshorts brachte sie mir den Vorteil, dass ich, wie ich es gewöhnt war, meine Hände tief in den Hosentaschen vergraben konnte, was, so glaube ich, auf den Betrachter und somit auch auf Frau Friedenstab, wenig engagiert wirkte. Da offensichtlich alle außer mir wussten, wohin sie zu laufen und was sie tun hatten, blieb ich regungslos mit den vergrabenen Händen an einem Platz stehen. Das ich bei meinem Debut offensichtlich nicht den besten Eindruck hinterlassen habe, wurde mir klar, als meine Mutter die Hosentaschen meiner provisorischen Rot-Weiß-Merl-Hose zunähte. 

Hände an den Bund- nicht in die Taschen
Trotzdem hielt meine Trainerin an mir fest, und im Laufe der Zeit wurde ich ein leidenschaftlich kickendes Kind, welches sich keine Sportschau entgehen ließ, Panini- Bilder sammelte und natürlich schon einen Lieblingsverein hatte. Rückblickend würde ich vermuten, dass die mit meinem Club identischen Vereinsfarben rot und weiß ausschlaggebend für die Wahl waren, da mir als Kind weder die räumliche Nähe bewusst war, noch meine später aufflammende Leidenschaft für die gesamte Stadt Köln absehbar gewesen wäre.

Auch wenn ich meine Vereinskarriere zugunsten von diverse anderen Sportarten wie Judo, Basketball, Tischtennis und Tennis im Jugendalter aufgab, so kickte man eigentlich doch immer. Ob auf dem Garagenhof mit den Nachbarskinder, auf dem Schulhof in der Pause, ob in der Bolzplatzliga als der (politisch motivierte) S.I.F.F. Linksaußen gegen die Bolzercrew, es gab eigentlich immer die Möglichkeit ein bisschen Fußball zu spielen. Erst mit dem Umzug in die große Stadt Köln wurden die Gelegenheiten weniger bis ich gar nicht mehr spielte. 

Aus Mangel an sportlicher Aktivität ließ ich mich von Kumpels zu einem Kletterhallenbesuch überreden und eine neue Leidenschaft wurde geboren. Aus regelmäßigem Feierabendsport wurde schnell ein Lebensinhalt. Aus einmal wöchentlich Hallenklettern wurde schnell „An den Fels, wann immer es geht“. Und was früher der Sportteil der Zeitung war, waren nun Magazine wie „Rotpunkt“ und später „Klettern“. Was früher die Sportschau war, war nun meine stetig wachsende Sammlung  an Filmen wie „Masters of Stone“, „The real thing“ und „Dosage“. Und da Klettern so aufregend und neu, so abenteuerlich und anders war, fehlte es auch nicht an den alten Sportarten. 

Dass Fußball in Klettererkreisen keinen hohen Stellenwert hatte war schnell zu bemerken. Der gute Kletterer verachtet Fußball als Inbegriff  von Spießigkeit, als Symbol gesellschaftlicher Konformität, als sportliche Weiterführung eines christdemokratischen Konservativismus. Fußball zwängt in Regeln, Fußball beschneidet die Freiheit und Fußballer sind dumm. „Wenn klettern einfach wäre, würde es Fußball heißen!“ 

Ist das so?
Ich war jung, ich brauchte den Sport. Mir wurde klar, dass ich über die Irrwege meiner jungen Jahre, über die düsteren Abgründe meiner sportlichen Entwicklung, über meine erzkonservative Bewegungsvergangenheit im Kreise meiner neuen Mitsportler besser schweigen würde. Zumal es sehr angesagt war auf die Frage wie man zum Klettern kam sich mit der Antwort zu brüsten: „Weil ich nicht Fußball spielen kann!“. Zuletzt habe ich noch in einer Umfrage gelesen: Sätze die ein Kletterer niemals sagen würde- Ich mag Fußball.

Klettern ist mehr. Klettern ist Freiheit. Keine Regeln, keine Zwänge, keine Wettkämpfe, kein Sport im eigentlichen Sinne. Nein, Klettern ist eine Lebenseinstellung!  Und wehe dem, der sich mit den profanen Allerweltssportarten abgibt.
Doch auch der Klettersport befindet sich im Wandel. Die Zeiten, als diese Tätigkeit lediglich im Dreck und von trockenem Brot lebenden Hippies vorbehalten war ist vorbei. Ob leider oder zum Glück, mag jeder selbst beurteilen, aber heute ist auch Klettern ein Breitensport. Ein sportliches Messen hat von jeher stattgefunden ob im Klettern von möglichst schweren Routen oder im Wettbewerbsklettern. Auch ein nicht festgeschriebenes Regelwerk über ethisch einwandfreie Begehungen à la Rotpunkt, Onsight und Flash gibt es nicht erst seit gestern. Wenn man erzählt, dass man klettert lässt das heute kaum noch jemanden staunen. In Fontainebleau läuft man plötzlich dem Chef mit Crashpad und E9-Hose über den Weg und auf der Stripsenjochhütte trifft man die Nachbarin nach erfolgreicher Besteigung des Totenkirchls.

Kletterhallen erlauben es konzentriert und zielgerichtet zu trainieren. Und auch der Hobbykletterer ist in dieser Beziehung meist engagiert und weiß schon eine Menge über Methoden.  Und dazu gehört auch das Wissen um die Sinnigkeit von Ausgleichssport. Und trotzdem wird bei dieser Thematik ein weiter Bogen um vermeintlich „normale“ Sportarten gemacht. Und an dieser Stelle möchte ich mich Outen:
Ich mag, nein, ich liebe Fußball! 


Fällt etwas auf?
Auch ich habe schon eine Menge Sportarten nebenher betrieben. Denn bei aller Liebe zum Klettern, wird auch dieses hin und wieder langweilig. Insbesondere wenn man nicht im Gebirge lebt und einem dem zur Folge nur einige mittelprächtige Felswände zur Verfügung stehen, die man im Laufe der Jahre schon zigtausendfach beklettert hat, oder alternativ der Besuch der Kletterhalle bleibt, wo das Klettern dann und wann zur leidigen Trainingspflichtübung verkommt sehnt man sich danach gelegentlich  auf andere Art und Weise ins Schwitzen zu kommen. Aufgrund der von der Szene stark reglementierten Auswahl an Zweitsportarten gehen die meisten (und so auch ich lange Zeit) einfach joggen. Das ist unverfänglich, geht schnell und kostet nicht viel. Dafür ist es bei Zeiten auch ganz schön dröge und es fällt nicht immer leicht sich zu motivieren. Ebenfalls legitim sind andere „Extremsportarten“. So habe ich beispielsweise mit dem MTB fahren angefangen. Und auch hierfür habe ich schnell Feuer gefangen. Dies hatte jedoch den Nachteil, dass man an den rar gesäten freien Tage an denen auch das Wetter mitspielt überlegen musste, ob nun Biken oder Klettern Vorrang hat. Und da die Liebe insbesondere zu steilen, sturzanfälligen Abfahrten, sowie zu immer höher werden Sprüngen und Drops entfacht war, hatte sich der Wunsch nach einer etwas weniger Moral erfordernden Tätigkeit auch erledigt. 
  
Auch wenn eine solche Aussage unpopulär ist. Fußball ist der ideale Ausgleich zum Klettern. Es füllt all die Trainingslücken, die beim Klettern offen bleiben.
Das ich beim Klettern auch bei guter Fußarbeit mehr die Arme als die Beine beanspruche und es beim Fußball, Nomen est Omen, genau umgekehrt ist, liegtauf der Hand. Dass jedoch eine gute Kraftausdauer benötigt wird vereint die beiden Disziplinen wiederum. Des Weiteren ist Klettern ein Sport, bei dem ich agiere. Der Fels ist in der Regel unbeweglich, ich plane meine Bewegungen voraus und setze sie um. Ausgenommen das Bouldern und Speedklettern ist der Klettersport zudem ausgesprochen langsam. Fußball ist diesbezüglich das genaue Gegenteil. Das Spiel basiert auf Schnelligkeit und Reaktion, Fähigkeiten also, die ich beim Klettern total vernachlässige. 

So geht´s auch: Fuppes und Parkour

Aber gerade vom organisatorischen ergänzt eine gelegentliche Kickrunde den Trainingsalltag des Vertikalisten perfekt. Dieses Frühjahr beispielsweise war verregnet wie selten.  Der Trainingswinter in der Halle wurde länger und länger. Und die Sehnsucht nach draußen wurde größer und größer. Während der Regen ein Klettern in der Eifel absolut unmöglich machte, schadete er so mancher Schlammschlacht auf dem Bolzplatz gar nicht. Ganz im Gegenteil, war der Platz immer in perfekter weicher Kondition und das Spielen im Nieselregen machte die Sache nur noch lustiger. Der Zeitaufwand ist im Gegensatz zum Klettern oder Biken gering. Während man für ein bisschen Felsspaß oder eine MTB-Tour meist eine lange Autofahrt und mehrere Stunden  Aufenthalt einplanen muss, ist man nach eineinhalb Stunden auf dem um die Ecke liegenden Bolzer total platt und hat eine Menge Spaß gehabt. 

Aber vielleicht ist es auch gut, dass es so ist, wie es ist. Denn in Zeiten, in denen man mit seinem Klettererdasein niemanden mehr beeindrucken kann, in denen das Emporsteigen an Felswänden weder mit Heldentum noch mit Rebellion, geschweige denn mit der großen Freiheit assoziiert wird, kann man sich als fußballmögender Kletterer geradezu als Querdenken fühlen. Neue Denkweisen taten sich im Alpinismus immer schon schwer. Den siebten Grad wollte auch keiner wahrhaben. Ich jedenfalls werde demnächst beim Klettern im Wetterstein meine FC-Köln- Stutzen und die Fußballshorts tragen, wie einst die 68er-Jugend Che Guevara T-Shirts und mich dabei frei und rebellisch fühlen.
 



2 Kommentare:

  1. Hallo Frank,
    mit Begeisterung und einem Lächeln habe ich deine Blogs gelesen. Prima und weiter so. Freue mich auf neue Beiträge und auf ein baldiges Bier in der Eifel.
    Ich wünsche Dir viel Erfolg mit deinem Blog.
    LG Bernd

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  2. Vielen Dank für das Lob! Wenn der Umzugsstress erst abebbt, ist auch wieder Zeit für eine neue Story. In der Zwischenzeit gibt es ja noch den Artikel über "Geyikbayiri" in der Klettern zu lesen (erscheint 10.09.13).
    Viele Grüße
    Frank

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