Samstag, 28. Dezember 2013

Achtung: Satire



But in their hearts …


Vor kurzer Zeit besuchte ich mit meiner Freundin Bekannte in Aachen. Da wir nun schon mal da waren, wollten wir uns einen Streifzug durch den historischen Stadtkern nicht entgehen lassen. Der Aachener Dom, wenn auch viel kleiner als unserer in Kölle, soll ja recht hübsch anzuschauen sein. Und gekrönt wurden da schon viele Kaiser. Den sollte man mal gesehen haben. Also zogen wir nach reichlicher Kaffee-und-Kuchen-Versorgung bei den Bekannten los ins Aachener Zentrum. Vorsichtshalber informierte ich mich bei den freundlichen Gastgebern noch, ob sie eventuell ein Bergsportgeschäft in der Gegend kennen. Läge direkt auf dem Weg, nur mal rechts in die Straßen gucken, dann sieht man schon „Spezialsport“.


Der Bergsportladen schlechthin
Gesagt, getan, haben wir in alle rechten Straßen auf unserem Weg geschaut und nach besagtem Geschäft Ausschau gehalten. Eigentlich bin ich kein Shopping-begeisterter Mensch. Ich muss auch nicht jegliche Hardwear rund um mein Hobby am besten in mehrfacher Ausführung und allen erdenklichen Farbtönen der Saison besitzen. Demzufolge ist normalerweise auch nicht der örtliche Bergsportartikelanbieter mein erster Anlaufpunkt beim Erkunden einer fremden Stadt. Aber derzeit stehe ich vor dem akuten Problem, dass ein renommierter Kletterpatschenhersteller ohne Vorwarnung und ohne ersichtlichen Grund einen Kletterschuh aus seinem Sortiment verbannt hat. Keinen x-beliebigen Schuh. Nein, natürlich ist es DER Schuh. Ein Kunstwerk aus Gummi und Kunstleder, das wie gemacht ist für meine individuelle Fußform und meinen mir eigenen Kletterstil. Als ich das erste Mal mit meinem Fuß hineinrutschte, wusste ich: Dieser Schuh und ich wir gehören zusammen. Dieser Schuh gab meinem Klettern erst einen Sinn. Aber genauso wusste ich, dass Klettern für mich nicht mehr möglich wäre, wenn dieser Schuh in einer hoffentlich fernen Zukunft nicht mehr hergestellt würde. Leider ist diese ferne Zukunft nur zwei Jahre später eingetreten. Die Gummierung meines letzten Paares dieser Wunderwaffe wird dünner und dünner. Deshalb befinde ich mich zurzeit auf einer verzweifelten, sinnsuchenden Reise durch Bergsportläden.


Und so betraten meine Freundin und ich den „Spezialsport“, den wir schon nach der 25. Seitenstraße, in die wir hineingeschaut hatten, entdeckten. Meine Hoffnung war, in einem Modell des gleichen Herstellers so etwas wie den Nachfolger meines Schuhs zu entdecken.

„Kann ich helfen?“, wurden wir, kaum im Laden, angesprochen. „Wo finde ich denn Kletterschuhe?“ „Da drüben, ich schicke dir jemanden der sich gut auskennt.“ „Danke, nicht nötig, ich weiß, wonach ich suche und wollte nur mal schauen.“ Dass auch jenseits der USA an einem gewissen Servicegedanken gearbeitet wird, finde ich löblich und für viele Branchen auch geeignet. Bei Bergsportausrüstung ist es jedoch häufig so, dass der potenzielle Käufer, wenn nicht gerade neu im Vertikalsport, ziemlich genau weiß, wonach er sucht. In diesem Fall wäre es meines Erachtens für Käufer und Verkäufer besser, wenn jeder seiner Wege ginge. Stattdessen wird man häufig von übermotivierten und übergeschulten „Teamern“ vom Hereinkommen bis zum Verlassen des noch so kleinen Lädchens begleitet. Die Folge der zu vielen wohlgemeinten Ratschläge ist, dass mein Trotz zum Vorschein kommt, was in ellenlangen Wissensbattles über Hardwear im Speziellen und Klettern im Allgemeinen mündet. Ein Beispiel: Ich frage in einem Kletterladen den Verkäufer, ob er mir den „5.10 Anasazi Velcro“ in 42 rausgeben kann. Seit vielen Jahren kletterte ich schon mit diesem Schuh. „Das ist doch viel zu eng! Spätestens, wenn du am 4. Stand stehst, fallen dir die Zehen ab. Ich hol dir eine 44.“ Da blieben mir die Worte weg. Aus purer Frackigkeit habe ich den Schuh dann in 41,5 gekauft. Zu Hause musste ich mir eingestehen, dass ich ohne ernsthafte medizinische Schäden nicht in diesen reinkomme würde. Beim Umtausch konnten wir uns auf 42,5 einigen.


Zurück zum Aachener Sportspezialisten. Ich schlich mich in die Kletterschuhecke und schaute mich um. Schnell überschaute ich das Sortiment, sah, dass keines der Würde-ich-gern-mal-probieren-Modelle dabei war. Also schickte ich mich an, schnell das Feld zu räumen. Doch unausweichlich und bedrohlich wie ein nahender Hurricane bewegte sich der eben noch von mir dankend abgelehnte Schuhverkäufer auf mich zu. Outdoor-Vertreter von Kopf bis Fuß. Trotz der geringen Steigungen im Aachener Voreifelland hochgebirgstaugliche Trekkingschuhe und giftgrüne Boulder-Hose, nur falls man an der einen Quadratmeter großen Testwand doch mal einen schweren Boulder ziehen muss. Das Mammut-Funktionsshirt kombiniert mit atmungsaktiver Fleece-Weste, ebenfalls Mammut, machten noch am meisten Sinn, da die Temperaturen in dem völlig überfüllten Laden wahrlich schweißtreibend waren. Die bessere Taktik wären jedoch wahrscheinlich eine Bekleidungslage weniger gewesen und der Verzicht auf eine Strickmütze.


Outdoorfach-Verkäufer: „Kann ich helfen?“ Ich: „Nein danke, ich wollte nur schauen, ob ihr den Blackwing hier habt.“ Outdoor-Fachverkäufer: „Hast du schon mal den Speedster probiert?“ Ich: „Ich wollte eigentlich nur nach einer Alternative für den Jet 7 suchen und schauen, wie die neuen 5.10-Modelle ausfallen.“ Outdoor-Fachverkäufer: „Was willst du denn damit machen?“ Ich: „Klettern.“ Outdoor-Fachverkäufer: „Bouldern? Steile Routen? Mehrseillängen?“ Ich: „Ja genau!“ Outdoor-Fachverkäufer in mir meine Naivität verzeihendem Tonfall: „In den höheren Graden brauchst du ’nen anderen Schuh für ’ne steile Route als für ’ne Reibungsplatte.“ Ich: „Ach?“ Outdoor-Fachverkäufer: „Also für Routen wie ‚Herkules‘ in der Fränkischen brauchst du schon ’nen ordentlichen Downturn. Oder bei ‚Carnage‘ in Bleau muss die Kantenstabilität passen. Also ganz ehrlich, ‚Symbiose‘ wäre ich nie ohne den Phyton geklettert. Und im Yosemite wäre ich mit meinen Boulder-Schluffen keinen Sechser hochkommen.“ Ich: „Beeindruckende Ticklist, aber ich suche wie gesagt etwas wie den Jet 7. Möglichst eine schön weiche Sohle und genügend Downturn. Damit war ich immer sehr zufrieden. Sowohl in Bleau wie auch auf Kalymnos und in Thailand. Und sogar in ‚Herkules‘ und in ‚Carnage‘ bin ich mit denen schon rumgeklettert.“ Outdoor-Fachverkäufer: „Was ist mit Mehrseillängen?“ Ich: „Dafür habe ich ’nen alten ausgelatschten Anasazi Velcro.“ Outdoor-Fachverkäufer: „Also, ich klettere ja nur den cleanen Kram und die Sachen sind echt hart! Da brauchste schon ’nen super Schuh! Da kann ich echt den Impact empfehlen. Musst du halt an den Standplätzen ausziehen.“ Ich: „Also 5.10 habt ihr gar nicht da? Dann danke schön.“ Outdoor-Fachverkäufer in für meinen Geschmack etwas zu bedeutungsschwangerem Ton: „Kommst Du zu den Moves?“ Ich: „Was???“ Outdoor-Fachverkäufer: „Zu den Moves, den Soul Moves? Das ist so ein echt chilliges Event. ’Ne Boulder-Session. Coole Leute, coole Boulder und echt smooth mit den Leuten zu moven!“ Ich: „Naja, ich schraube da so ein paar Boulder für die Soul Moves.“ Outdoor-Fachverkäufer: „Äh … ach so … ja schön. Tut mir leid, dass ich nicht weiterhelfen konnte. Tschüss!“


Begehrtes Leibchen: Das Eventshirt
Womit wir beim Thema wären: Boulder-Events.

Ehrlich gesagt habe ich bei nur wenigen tatsächlich mit gebouldert. Hierfür könnte ich diverse Argumente anführen, die mich als einen ideelleren, echteren Kletterer, als ein Verabscheuer des Plastikkletterns oder einfach als einen besseren Menschen dastehen lassen. Die Wahrheit ist, dass mir der Mumm fehlt, mich mit meinesgleichen zu messen. Mir einzugestehen, dass doch sooo viele Leute sooo viel besser bouldern, als ich es tue. Diesem ungewollten Leistungsdruck zum Trotz habe ich einmal mit einem Kumpel angefangen, bei der „Ehrenfelder Boulder-Nacht“ für jeden nicht geschafften Boulder ein Kölsch zu trinken. Dass es bei 35 zu schaffenden Problemen einen kausalen Zusammenhang zwischen proportional sinkender Erfolgsquote und steigender Bierrate gab, leuchtet ein. Folgerichtig haben wir im kommenden Jahr gar keine Kletterschuhe mehr angezogen, sondern direkt versucht, 35 Kölsch zu trinken. Obwohl dieses leckere obergärige Hopfengetränk im handlichen 0,2-l-Maß ausgeschenkt wird, war uns auch in dieser Disziplin kein sportlich einwandfreier Flash-Erfolg gegönnt. Die körperliche Verfassung am nächsten Morgen ließ zwar den Schluss zu, dass wir uns der angestrebten Marke genährt hatten. Doch eine Durchführung fehlerfrei und in einem Zug ließ sich nicht eindeutig belegen.


Eventvorbereitung: Schwerstarbeit!
Bei besagten Soul Moves jedoch gehöre ich seit vielen Jahren zu den Leuten, die am Vortag massenhaft Boulder schrauben, Boulder probieren, Boulder wieder umschrauben, um am Abend hoffentlich genügend Probleme für die Soulmover kreiert zu haben. 


Das Schöne am Event-Tag ist, dass – während Hunderte Sportler minutenlang anstehen müssen, um an den immer schmockiger werdenden Griffen vielleicht schon beim Lift-off rauszuschmieren und sich anschließend wieder hinten in die Schlange einzureihen, – ich meinen Muskelkater von einer netten Boulder-Session an jungfräulichen Bouldern auskurieren und das illustre Treiben beobachten darf. Und illuster ist das Treiben. 


Entspannte Boulderatmonphäre
Was in Hühnerställen als nicht artgerecht bezeichnet wird, tun sich die Sportler hier freiwillig an. Dicht an dicht stehen sie in der völlig überfüllten Kletterhalle, die chalk- und schweißgeschwängerte Luft erinnert an eine Raucherkneipe an Karneval zu sehr später Stunde und die dumpfen Bässe von Dub und Reggae wettstreiten mit „Come on, allez, gett schoa!“-Geschrei und den Urlauten der um noch mehr Aufmerksamkeit für ihr Tun werbenden Protagonisten. Und dies tun sich die passionierten Outdoor-Sportler oft auch dann an, wenn außerhalb der Kletterhalle feinstes Boulder-Wetter herrscht. Möchte man also an einem Samstag ein umliegendes Boulder-Gebiet ganz für sich haben, suche man sich einfach den Tag einer solchen Veranstaltung aus.

Zwei modische Stiltypen dominieren das Bild: Der moderne Boulderer trägt untenrum lange E9-Hosen – wahlweise in Giftgrün oder Müllabfuhrorange – dazu obenrum nichts (zum Aufwärmen zwischendurch schlüpft man gerne mal in das Teilnehmer-T-Shirt irgendeiner vergangenen Boulder-Veranstaltung) und ganz oben eine Strickmütze. Der vertikale Kurzprogrammliebhaber, der sich den „Schon lange dabei“-Touch geben möchte, trägt untenrum kurze Boulder-Hosen, obenrum Daunenjacke über blankem Oberkörper und natürlich: Strickmütze. Bei den Damen sieht es ähnlich aus, lediglich der bare Busen wird ungern präsentiert, also von Markentops bedeckt. Ich gehe davon aus, dass sich die Träger dieser Klamotte in zehn Jahren ebenso beim Anblick ihrer Kletterfotos grämen, wie den Klettermodesündern der 80er beim Betrachten ihrer unvorteilhaft in pinkfarbenes Lycra gehüllten und durch den Stretcheffekt besonders zur Geltung gebrachten Männlichkeit und natürlich den 90er-Verve-Hosen-mit-Teva-Sandalen-Sektierern heute so mancher Schamesschauer über den Rücken läuft. Und keiner kann sagen: Ich war jung und brauchte das Geld. Ganz im Gegenteil haben auch schon die Jüngsten offensichtlich zu viel Geld. Für den Preis eines solchen Outfits, und da ist wohlgemerkt kein T-Shirt dabei, kann man sich schon fast ein Crashpad leisten.


Photo by Thomas Hörster
Spannend auf einem solchen Event ist es, die Regelauslegung leider nicht nur einzelner Teilnehmer zu betrachten. Wenn jeder sein eigener Schiedsrichter ist, kommt es zu den wunderlichsten Entscheidungen – in der Regel zu den eigenen Gunsten. „Hey, es geht um die Session, nicht ums Gewinnen! Coole Leute, coole Boulder! Dabeisein, das ist es!“ Dieser Spirit spiegelt sich jedoch weder in dem Willen, seinen Nächsten zu spotten, auch wenn die Krux hoch ist, das Crashpad am falschen Ort liegt und noch drei Leute plaudernd unter dem inzwischen am ganzen Körper vibrierenden Vertikalartisten stehen, noch im fairen und ehrlichen Eintragen der erbrachten Kletterleistungen. 


Der Klassiker ist der vom Tritt gerutschte Fuß. Boden berührt, weitergeklettert, Flash eingetragen. Eine moralische Gangart härter ist der „Naja, hätte ich eigentlich geflasht“-Flash knapp gefolgt vom „Hätte ich flashen können“-Flash. Ebenso gerne wird der schwere Sitzstart zu einem Hockstart oder zu einem Beinahe-Stehstart. Und fast genauso beliebt ist der schwer zu haltende Topgriff, der – obwohl die zweite Hand fehlte oder gar nur mit einer Hand abgeklatscht wurde – noch als lupenreine Begehung gewertet wird.


Photo by Thomas Hörster
Als ich mich ausnahmsweise mal der Situation gestellt habe und mitgebouldert habe, wurde ich im eigenen Bekanntenkreis Zeuge folgender Begehung:

Zu klettern war ein Boulder mit vielen, aber relativ leichten Zügen. An einem Torbogen ging es auf der einen Seite hoch und auf der anderen wieder runter. Nun war bei diesem wenig aufregenden Ding die einzige Krux, die zweite Hand an den auf Kniehöhe liegenden, sehr runden Topgriff zu bekommen. Zuerst versuchte Johann sein Glück. Nach einigem zittrigen Hin-und-Her-Geeier auf den schmierigen Tritten gelang es ihm, die zweite Hand dazuzunehmen und den Griff regelkonform drei Sekunden lang zu halten und sich somit eine ehrliche Flash-Begehung zu sichern. Unter ähnlichen Umständen gelang mir als Zweiter ebenfalls die zwar knappe, aber regelkonforme und ehrliche Begehung. Als Dritter im Bunde versuchte nun Björn sein Glück. In souveräner Art und mit einer Extraprise publikumswirksamer Ästhetik glitt und hangelte er durch den Torbogen. Doch am runden Finalsloper war es vorbei mit der Katzenartigkeit. Verzweifelt wurde jeder Tritt mit links probiert mit rechts probiert, geheelhookt, getoehookt, es wurde blockiert und gestützt, doch nichts half, die Position zu stabilisieren und die linke Hand vom letzten guten Griff zu lösen und sicher drei ehrliche Sekunden an den miesen Sloper zu legen. Die immer praller werdenden Unterarme zwangen Björn zur finalen Verzweiflungstat. Er ließ den linken Griff los und schmiss im Rauskippen die Hand in Richtung Topgriff. Schwer zu sagen, ob der Fuß zuerst den Boden berührte oder die Hand den Sloper abklatschte – gewiss ist jedoch, dass sie dort nicht einmal eine Sekunde verweilte, ehe sich Björn auf der Matte wiederfand. Ungerührt dieser Tatsache rappelte sich Björn auf, klopfte sich das Chalk von den Klamotten, griff zu Stift und Papier, machte ein heimliches Kreuzchen und steckte beides schnell weg. „Björn!“, kam es wie aus einem Mund von Johann und mir, „Du hast dir doch keinen Flash eingetragen?!“ „Warum denn nicht, ich hab den doch geflasht!“ „Noch mal rein mit dir! Nichts hast du!“ Darauf holte Björn seinen Zettel raus, kritzelte darin herum und sagte: „Na gut, dann schreibe ich eben nur ein Top auf!“ Na, wenn das nicht fair klingt!


Leichter machen es sich da schon einige geübtere Pfuscher, die sich zu recht Chancen auf einen Sieg ausrechnen. Und diese will natürlich nicht leichtfertig durch beispielsweise einen wegrutschenden Fuß in einem leichteren Boulder aufs Spiel gesetzt werden. Also macht man lieber einen Bogen um alles, was nicht zumindest im mittleren Hardmover-Segment angesiedelt ist. Dies hat direkt mehrere Vorteile. Den einen eben, nicht bei einem leichteren, aber doch etwas wackeligen Bewegungsproblem rauszupurzeln. Des Weiteren ermöglicht diese Taktik ein besseres Zeitmanagement durch die fehlenden Wartezeiten an den viel frequentierten Allerweltsbouldern und zu guter Letzt lassen sich die doch auch bei Favoriten beschränken Kraftreserven besser auf die wahren Probleme konzentrieren. Das Ganze wäre auch eine legitime Herangehensweise, wenn nicht in arroganter Art und Weise alle ausgelassenen Boulder mit einem „Kann ich sowieso flashen“-Kreuzchen versehen würden.


Vor einigen Jahren hatten wir einen Spaßboulder kreiert. Man musste mit Anlauf auf einer leicht geneigten Platte zweimal antreten, um direkt an den Topgriff zu springen. Solche ungewohnten Timing-Angelegenheiten sind natürlich sehr unbeliebt, weil wahre „Flashkiller“. Und so schaute ich gerade bei diesem Boulder zu, als einer der Mitfavoriten sein Glück versuchte. Wie schon viele vor ihm musste auch er einige Male anlaufen und hüpfen, ehe der Absprung stimmte und er den Griff erreichte. Doch was musste ich bei der Auswertung auf seinem Zettel entdecken? Da war das Kreuzchen doch tatsächlich in die Spalte „Flash“ gerutscht.

Ebenfalls in die Kategorie dumm gefuscht gehört die sagenhafte Flash-Begehung einer Teilnehmerin des Boulders, der so schwer war, dass er ansonsten niemandem, nicht einmal den ganz starken Jungs eine erfolgreiche Besteigung gestattete. Und natürlich auch der ambitionierte Jungspund, der dem Zuschauer eines veröffentlichten Videozusammenschnitts das systematische Erarbeiten eines Boulders präsentiert, und zwar eines Boulders, den er auf seinem Zettelchen als erfolgreiche Begehung im ersten Versuch dokumentiert hat. Hat er diesen etwa nach seiner Flash-Begehung noch mal projektiert?



Photo by Thomas Hörster
Eines sollte man bei einer allzu großzügigen Regelauslegung beachten: Wenn man sich versehentlich aufs Treppchen schummelt, wird man von seinen abgeschüttelten Konkurrenten zukünftig sehr genau beim Bouldern beobachtet. Und dann bleiben einem nur zwei Möglichkeiten: Entweder erträgt man die Peinlichkeit, dass man nie mehr an die Leistungen dieses Überfliegertages anknüpfen kann oder man verlässt die Stadt.


Aber bei aller Frotzelei bleibt zu sagen, Soul Moves sind und bleiben Kult. Ob aktiv oder passiv ein "Mordsgaudi": Geile Musik, geile Moves und eine Menge Leute, die man seit "letztes Jahr Bleau, bei Regen im Decathlon" nicht mehr gesehen hat. 

Und für die Regelkonformität gilt folgendes aus einem englischen Bleau-Topo entnommene Zitat: "Some jump off after the crux, avoiding the easier, but high finishing moves, and claim an ascent. But in their hearts they know …"


Dank an Thomas Hörster Photographs für die tollen Bilder.