Samstag, 28. Dezember 2013

Achtung: Satire



But in their hearts …


Vor kurzer Zeit besuchte ich mit meiner Freundin Bekannte in Aachen. Da wir nun schon mal da waren, wollten wir uns einen Streifzug durch den historischen Stadtkern nicht entgehen lassen. Der Aachener Dom, wenn auch viel kleiner als unserer in Kölle, soll ja recht hübsch anzuschauen sein. Und gekrönt wurden da schon viele Kaiser. Den sollte man mal gesehen haben. Also zogen wir nach reichlicher Kaffee-und-Kuchen-Versorgung bei den Bekannten los ins Aachener Zentrum. Vorsichtshalber informierte ich mich bei den freundlichen Gastgebern noch, ob sie eventuell ein Bergsportgeschäft in der Gegend kennen. Läge direkt auf dem Weg, nur mal rechts in die Straßen gucken, dann sieht man schon „Spezialsport“.


Der Bergsportladen schlechthin
Gesagt, getan, haben wir in alle rechten Straßen auf unserem Weg geschaut und nach besagtem Geschäft Ausschau gehalten. Eigentlich bin ich kein Shopping-begeisterter Mensch. Ich muss auch nicht jegliche Hardwear rund um mein Hobby am besten in mehrfacher Ausführung und allen erdenklichen Farbtönen der Saison besitzen. Demzufolge ist normalerweise auch nicht der örtliche Bergsportartikelanbieter mein erster Anlaufpunkt beim Erkunden einer fremden Stadt. Aber derzeit stehe ich vor dem akuten Problem, dass ein renommierter Kletterpatschenhersteller ohne Vorwarnung und ohne ersichtlichen Grund einen Kletterschuh aus seinem Sortiment verbannt hat. Keinen x-beliebigen Schuh. Nein, natürlich ist es DER Schuh. Ein Kunstwerk aus Gummi und Kunstleder, das wie gemacht ist für meine individuelle Fußform und meinen mir eigenen Kletterstil. Als ich das erste Mal mit meinem Fuß hineinrutschte, wusste ich: Dieser Schuh und ich wir gehören zusammen. Dieser Schuh gab meinem Klettern erst einen Sinn. Aber genauso wusste ich, dass Klettern für mich nicht mehr möglich wäre, wenn dieser Schuh in einer hoffentlich fernen Zukunft nicht mehr hergestellt würde. Leider ist diese ferne Zukunft nur zwei Jahre später eingetreten. Die Gummierung meines letzten Paares dieser Wunderwaffe wird dünner und dünner. Deshalb befinde ich mich zurzeit auf einer verzweifelten, sinnsuchenden Reise durch Bergsportläden.


Und so betraten meine Freundin und ich den „Spezialsport“, den wir schon nach der 25. Seitenstraße, in die wir hineingeschaut hatten, entdeckten. Meine Hoffnung war, in einem Modell des gleichen Herstellers so etwas wie den Nachfolger meines Schuhs zu entdecken.

„Kann ich helfen?“, wurden wir, kaum im Laden, angesprochen. „Wo finde ich denn Kletterschuhe?“ „Da drüben, ich schicke dir jemanden der sich gut auskennt.“ „Danke, nicht nötig, ich weiß, wonach ich suche und wollte nur mal schauen.“ Dass auch jenseits der USA an einem gewissen Servicegedanken gearbeitet wird, finde ich löblich und für viele Branchen auch geeignet. Bei Bergsportausrüstung ist es jedoch häufig so, dass der potenzielle Käufer, wenn nicht gerade neu im Vertikalsport, ziemlich genau weiß, wonach er sucht. In diesem Fall wäre es meines Erachtens für Käufer und Verkäufer besser, wenn jeder seiner Wege ginge. Stattdessen wird man häufig von übermotivierten und übergeschulten „Teamern“ vom Hereinkommen bis zum Verlassen des noch so kleinen Lädchens begleitet. Die Folge der zu vielen wohlgemeinten Ratschläge ist, dass mein Trotz zum Vorschein kommt, was in ellenlangen Wissensbattles über Hardwear im Speziellen und Klettern im Allgemeinen mündet. Ein Beispiel: Ich frage in einem Kletterladen den Verkäufer, ob er mir den „5.10 Anasazi Velcro“ in 42 rausgeben kann. Seit vielen Jahren kletterte ich schon mit diesem Schuh. „Das ist doch viel zu eng! Spätestens, wenn du am 4. Stand stehst, fallen dir die Zehen ab. Ich hol dir eine 44.“ Da blieben mir die Worte weg. Aus purer Frackigkeit habe ich den Schuh dann in 41,5 gekauft. Zu Hause musste ich mir eingestehen, dass ich ohne ernsthafte medizinische Schäden nicht in diesen reinkomme würde. Beim Umtausch konnten wir uns auf 42,5 einigen.


Zurück zum Aachener Sportspezialisten. Ich schlich mich in die Kletterschuhecke und schaute mich um. Schnell überschaute ich das Sortiment, sah, dass keines der Würde-ich-gern-mal-probieren-Modelle dabei war. Also schickte ich mich an, schnell das Feld zu räumen. Doch unausweichlich und bedrohlich wie ein nahender Hurricane bewegte sich der eben noch von mir dankend abgelehnte Schuhverkäufer auf mich zu. Outdoor-Vertreter von Kopf bis Fuß. Trotz der geringen Steigungen im Aachener Voreifelland hochgebirgstaugliche Trekkingschuhe und giftgrüne Boulder-Hose, nur falls man an der einen Quadratmeter großen Testwand doch mal einen schweren Boulder ziehen muss. Das Mammut-Funktionsshirt kombiniert mit atmungsaktiver Fleece-Weste, ebenfalls Mammut, machten noch am meisten Sinn, da die Temperaturen in dem völlig überfüllten Laden wahrlich schweißtreibend waren. Die bessere Taktik wären jedoch wahrscheinlich eine Bekleidungslage weniger gewesen und der Verzicht auf eine Strickmütze.


Outdoorfach-Verkäufer: „Kann ich helfen?“ Ich: „Nein danke, ich wollte nur schauen, ob ihr den Blackwing hier habt.“ Outdoor-Fachverkäufer: „Hast du schon mal den Speedster probiert?“ Ich: „Ich wollte eigentlich nur nach einer Alternative für den Jet 7 suchen und schauen, wie die neuen 5.10-Modelle ausfallen.“ Outdoor-Fachverkäufer: „Was willst du denn damit machen?“ Ich: „Klettern.“ Outdoor-Fachverkäufer: „Bouldern? Steile Routen? Mehrseillängen?“ Ich: „Ja genau!“ Outdoor-Fachverkäufer in mir meine Naivität verzeihendem Tonfall: „In den höheren Graden brauchst du ’nen anderen Schuh für ’ne steile Route als für ’ne Reibungsplatte.“ Ich: „Ach?“ Outdoor-Fachverkäufer: „Also für Routen wie ‚Herkules‘ in der Fränkischen brauchst du schon ’nen ordentlichen Downturn. Oder bei ‚Carnage‘ in Bleau muss die Kantenstabilität passen. Also ganz ehrlich, ‚Symbiose‘ wäre ich nie ohne den Phyton geklettert. Und im Yosemite wäre ich mit meinen Boulder-Schluffen keinen Sechser hochkommen.“ Ich: „Beeindruckende Ticklist, aber ich suche wie gesagt etwas wie den Jet 7. Möglichst eine schön weiche Sohle und genügend Downturn. Damit war ich immer sehr zufrieden. Sowohl in Bleau wie auch auf Kalymnos und in Thailand. Und sogar in ‚Herkules‘ und in ‚Carnage‘ bin ich mit denen schon rumgeklettert.“ Outdoor-Fachverkäufer: „Was ist mit Mehrseillängen?“ Ich: „Dafür habe ich ’nen alten ausgelatschten Anasazi Velcro.“ Outdoor-Fachverkäufer: „Also, ich klettere ja nur den cleanen Kram und die Sachen sind echt hart! Da brauchste schon ’nen super Schuh! Da kann ich echt den Impact empfehlen. Musst du halt an den Standplätzen ausziehen.“ Ich: „Also 5.10 habt ihr gar nicht da? Dann danke schön.“ Outdoor-Fachverkäufer in für meinen Geschmack etwas zu bedeutungsschwangerem Ton: „Kommst Du zu den Moves?“ Ich: „Was???“ Outdoor-Fachverkäufer: „Zu den Moves, den Soul Moves? Das ist so ein echt chilliges Event. ’Ne Boulder-Session. Coole Leute, coole Boulder und echt smooth mit den Leuten zu moven!“ Ich: „Naja, ich schraube da so ein paar Boulder für die Soul Moves.“ Outdoor-Fachverkäufer: „Äh … ach so … ja schön. Tut mir leid, dass ich nicht weiterhelfen konnte. Tschüss!“


Begehrtes Leibchen: Das Eventshirt
Womit wir beim Thema wären: Boulder-Events.

Ehrlich gesagt habe ich bei nur wenigen tatsächlich mit gebouldert. Hierfür könnte ich diverse Argumente anführen, die mich als einen ideelleren, echteren Kletterer, als ein Verabscheuer des Plastikkletterns oder einfach als einen besseren Menschen dastehen lassen. Die Wahrheit ist, dass mir der Mumm fehlt, mich mit meinesgleichen zu messen. Mir einzugestehen, dass doch sooo viele Leute sooo viel besser bouldern, als ich es tue. Diesem ungewollten Leistungsdruck zum Trotz habe ich einmal mit einem Kumpel angefangen, bei der „Ehrenfelder Boulder-Nacht“ für jeden nicht geschafften Boulder ein Kölsch zu trinken. Dass es bei 35 zu schaffenden Problemen einen kausalen Zusammenhang zwischen proportional sinkender Erfolgsquote und steigender Bierrate gab, leuchtet ein. Folgerichtig haben wir im kommenden Jahr gar keine Kletterschuhe mehr angezogen, sondern direkt versucht, 35 Kölsch zu trinken. Obwohl dieses leckere obergärige Hopfengetränk im handlichen 0,2-l-Maß ausgeschenkt wird, war uns auch in dieser Disziplin kein sportlich einwandfreier Flash-Erfolg gegönnt. Die körperliche Verfassung am nächsten Morgen ließ zwar den Schluss zu, dass wir uns der angestrebten Marke genährt hatten. Doch eine Durchführung fehlerfrei und in einem Zug ließ sich nicht eindeutig belegen.


Eventvorbereitung: Schwerstarbeit!
Bei besagten Soul Moves jedoch gehöre ich seit vielen Jahren zu den Leuten, die am Vortag massenhaft Boulder schrauben, Boulder probieren, Boulder wieder umschrauben, um am Abend hoffentlich genügend Probleme für die Soulmover kreiert zu haben. 


Das Schöne am Event-Tag ist, dass – während Hunderte Sportler minutenlang anstehen müssen, um an den immer schmockiger werdenden Griffen vielleicht schon beim Lift-off rauszuschmieren und sich anschließend wieder hinten in die Schlange einzureihen, – ich meinen Muskelkater von einer netten Boulder-Session an jungfräulichen Bouldern auskurieren und das illustre Treiben beobachten darf. Und illuster ist das Treiben. 


Entspannte Boulderatmonphäre
Was in Hühnerställen als nicht artgerecht bezeichnet wird, tun sich die Sportler hier freiwillig an. Dicht an dicht stehen sie in der völlig überfüllten Kletterhalle, die chalk- und schweißgeschwängerte Luft erinnert an eine Raucherkneipe an Karneval zu sehr später Stunde und die dumpfen Bässe von Dub und Reggae wettstreiten mit „Come on, allez, gett schoa!“-Geschrei und den Urlauten der um noch mehr Aufmerksamkeit für ihr Tun werbenden Protagonisten. Und dies tun sich die passionierten Outdoor-Sportler oft auch dann an, wenn außerhalb der Kletterhalle feinstes Boulder-Wetter herrscht. Möchte man also an einem Samstag ein umliegendes Boulder-Gebiet ganz für sich haben, suche man sich einfach den Tag einer solchen Veranstaltung aus.

Zwei modische Stiltypen dominieren das Bild: Der moderne Boulderer trägt untenrum lange E9-Hosen – wahlweise in Giftgrün oder Müllabfuhrorange – dazu obenrum nichts (zum Aufwärmen zwischendurch schlüpft man gerne mal in das Teilnehmer-T-Shirt irgendeiner vergangenen Boulder-Veranstaltung) und ganz oben eine Strickmütze. Der vertikale Kurzprogrammliebhaber, der sich den „Schon lange dabei“-Touch geben möchte, trägt untenrum kurze Boulder-Hosen, obenrum Daunenjacke über blankem Oberkörper und natürlich: Strickmütze. Bei den Damen sieht es ähnlich aus, lediglich der bare Busen wird ungern präsentiert, also von Markentops bedeckt. Ich gehe davon aus, dass sich die Träger dieser Klamotte in zehn Jahren ebenso beim Anblick ihrer Kletterfotos grämen, wie den Klettermodesündern der 80er beim Betrachten ihrer unvorteilhaft in pinkfarbenes Lycra gehüllten und durch den Stretcheffekt besonders zur Geltung gebrachten Männlichkeit und natürlich den 90er-Verve-Hosen-mit-Teva-Sandalen-Sektierern heute so mancher Schamesschauer über den Rücken läuft. Und keiner kann sagen: Ich war jung und brauchte das Geld. Ganz im Gegenteil haben auch schon die Jüngsten offensichtlich zu viel Geld. Für den Preis eines solchen Outfits, und da ist wohlgemerkt kein T-Shirt dabei, kann man sich schon fast ein Crashpad leisten.


Photo by Thomas Hörster
Spannend auf einem solchen Event ist es, die Regelauslegung leider nicht nur einzelner Teilnehmer zu betrachten. Wenn jeder sein eigener Schiedsrichter ist, kommt es zu den wunderlichsten Entscheidungen – in der Regel zu den eigenen Gunsten. „Hey, es geht um die Session, nicht ums Gewinnen! Coole Leute, coole Boulder! Dabeisein, das ist es!“ Dieser Spirit spiegelt sich jedoch weder in dem Willen, seinen Nächsten zu spotten, auch wenn die Krux hoch ist, das Crashpad am falschen Ort liegt und noch drei Leute plaudernd unter dem inzwischen am ganzen Körper vibrierenden Vertikalartisten stehen, noch im fairen und ehrlichen Eintragen der erbrachten Kletterleistungen. 


Der Klassiker ist der vom Tritt gerutschte Fuß. Boden berührt, weitergeklettert, Flash eingetragen. Eine moralische Gangart härter ist der „Naja, hätte ich eigentlich geflasht“-Flash knapp gefolgt vom „Hätte ich flashen können“-Flash. Ebenso gerne wird der schwere Sitzstart zu einem Hockstart oder zu einem Beinahe-Stehstart. Und fast genauso beliebt ist der schwer zu haltende Topgriff, der – obwohl die zweite Hand fehlte oder gar nur mit einer Hand abgeklatscht wurde – noch als lupenreine Begehung gewertet wird.


Photo by Thomas Hörster
Als ich mich ausnahmsweise mal der Situation gestellt habe und mitgebouldert habe, wurde ich im eigenen Bekanntenkreis Zeuge folgender Begehung:

Zu klettern war ein Boulder mit vielen, aber relativ leichten Zügen. An einem Torbogen ging es auf der einen Seite hoch und auf der anderen wieder runter. Nun war bei diesem wenig aufregenden Ding die einzige Krux, die zweite Hand an den auf Kniehöhe liegenden, sehr runden Topgriff zu bekommen. Zuerst versuchte Johann sein Glück. Nach einigem zittrigen Hin-und-Her-Geeier auf den schmierigen Tritten gelang es ihm, die zweite Hand dazuzunehmen und den Griff regelkonform drei Sekunden lang zu halten und sich somit eine ehrliche Flash-Begehung zu sichern. Unter ähnlichen Umständen gelang mir als Zweiter ebenfalls die zwar knappe, aber regelkonforme und ehrliche Begehung. Als Dritter im Bunde versuchte nun Björn sein Glück. In souveräner Art und mit einer Extraprise publikumswirksamer Ästhetik glitt und hangelte er durch den Torbogen. Doch am runden Finalsloper war es vorbei mit der Katzenartigkeit. Verzweifelt wurde jeder Tritt mit links probiert mit rechts probiert, geheelhookt, getoehookt, es wurde blockiert und gestützt, doch nichts half, die Position zu stabilisieren und die linke Hand vom letzten guten Griff zu lösen und sicher drei ehrliche Sekunden an den miesen Sloper zu legen. Die immer praller werdenden Unterarme zwangen Björn zur finalen Verzweiflungstat. Er ließ den linken Griff los und schmiss im Rauskippen die Hand in Richtung Topgriff. Schwer zu sagen, ob der Fuß zuerst den Boden berührte oder die Hand den Sloper abklatschte – gewiss ist jedoch, dass sie dort nicht einmal eine Sekunde verweilte, ehe sich Björn auf der Matte wiederfand. Ungerührt dieser Tatsache rappelte sich Björn auf, klopfte sich das Chalk von den Klamotten, griff zu Stift und Papier, machte ein heimliches Kreuzchen und steckte beides schnell weg. „Björn!“, kam es wie aus einem Mund von Johann und mir, „Du hast dir doch keinen Flash eingetragen?!“ „Warum denn nicht, ich hab den doch geflasht!“ „Noch mal rein mit dir! Nichts hast du!“ Darauf holte Björn seinen Zettel raus, kritzelte darin herum und sagte: „Na gut, dann schreibe ich eben nur ein Top auf!“ Na, wenn das nicht fair klingt!


Leichter machen es sich da schon einige geübtere Pfuscher, die sich zu recht Chancen auf einen Sieg ausrechnen. Und diese will natürlich nicht leichtfertig durch beispielsweise einen wegrutschenden Fuß in einem leichteren Boulder aufs Spiel gesetzt werden. Also macht man lieber einen Bogen um alles, was nicht zumindest im mittleren Hardmover-Segment angesiedelt ist. Dies hat direkt mehrere Vorteile. Den einen eben, nicht bei einem leichteren, aber doch etwas wackeligen Bewegungsproblem rauszupurzeln. Des Weiteren ermöglicht diese Taktik ein besseres Zeitmanagement durch die fehlenden Wartezeiten an den viel frequentierten Allerweltsbouldern und zu guter Letzt lassen sich die doch auch bei Favoriten beschränken Kraftreserven besser auf die wahren Probleme konzentrieren. Das Ganze wäre auch eine legitime Herangehensweise, wenn nicht in arroganter Art und Weise alle ausgelassenen Boulder mit einem „Kann ich sowieso flashen“-Kreuzchen versehen würden.


Vor einigen Jahren hatten wir einen Spaßboulder kreiert. Man musste mit Anlauf auf einer leicht geneigten Platte zweimal antreten, um direkt an den Topgriff zu springen. Solche ungewohnten Timing-Angelegenheiten sind natürlich sehr unbeliebt, weil wahre „Flashkiller“. Und so schaute ich gerade bei diesem Boulder zu, als einer der Mitfavoriten sein Glück versuchte. Wie schon viele vor ihm musste auch er einige Male anlaufen und hüpfen, ehe der Absprung stimmte und er den Griff erreichte. Doch was musste ich bei der Auswertung auf seinem Zettel entdecken? Da war das Kreuzchen doch tatsächlich in die Spalte „Flash“ gerutscht.

Ebenfalls in die Kategorie dumm gefuscht gehört die sagenhafte Flash-Begehung einer Teilnehmerin des Boulders, der so schwer war, dass er ansonsten niemandem, nicht einmal den ganz starken Jungs eine erfolgreiche Besteigung gestattete. Und natürlich auch der ambitionierte Jungspund, der dem Zuschauer eines veröffentlichten Videozusammenschnitts das systematische Erarbeiten eines Boulders präsentiert, und zwar eines Boulders, den er auf seinem Zettelchen als erfolgreiche Begehung im ersten Versuch dokumentiert hat. Hat er diesen etwa nach seiner Flash-Begehung noch mal projektiert?



Photo by Thomas Hörster
Eines sollte man bei einer allzu großzügigen Regelauslegung beachten: Wenn man sich versehentlich aufs Treppchen schummelt, wird man von seinen abgeschüttelten Konkurrenten zukünftig sehr genau beim Bouldern beobachtet. Und dann bleiben einem nur zwei Möglichkeiten: Entweder erträgt man die Peinlichkeit, dass man nie mehr an die Leistungen dieses Überfliegertages anknüpfen kann oder man verlässt die Stadt.


Aber bei aller Frotzelei bleibt zu sagen, Soul Moves sind und bleiben Kult. Ob aktiv oder passiv ein "Mordsgaudi": Geile Musik, geile Moves und eine Menge Leute, die man seit "letztes Jahr Bleau, bei Regen im Decathlon" nicht mehr gesehen hat. 

Und für die Regelkonformität gilt folgendes aus einem englischen Bleau-Topo entnommene Zitat: "Some jump off after the crux, avoiding the easier, but high finishing moves, and claim an ascent. But in their hearts they know …"


Dank an Thomas Hörster Photographs für die tollen Bilder.

Freitag, 4. Oktober 2013

Diskussionsstoff...

...Nordeifel!

Dass über das Thema "Klettern in der Nordeifel" diskutiert wird bis die Köpfe rauchen, ist ja nichts neues. Doch nun hat ein Beitrag der Lokalzeit NRW neuen (und alten) Zündstoff für des rheinischen Kletterers liebstes Thema geliefert: 

Lokalzeit aus Aachen

Sonntag, 15. September 2013

Trebenna? It´s the best!

Turkish Standard
 
 
Freudig mag ich berichten, dass in der neusten Ausgabe meiner Leib.- und Magen- Lektüre "KLETTERN" erneut etwas meines Geschreibsels abgedruckt wurde. In diesem Fall habe ich meine nicht nur von Efes und Gözleme handelnden Erlebnisse eines Kletterurlaubs in der Türkei niedergeschrieben. 



Nein, natürlich geht es nicht nur um kulinarisches, sondern auch, oder vorwiegend, wie der Titel des Magazins erahnen lässt, ums Klettern. Um Routen, Sektoren und Grade. 
Um Moves und Cruxes, um Ausdauerhämmer und Boulderlastige Linien. 
Aber nicht zuletzt geht es um die, die all das Betrifft: Die Typen, die sich "Climber" nennen. Die, welche in diesem Fall im josito -camp, zusammengekommen sind um sich an den Felsen von Geyikbayiri zu vergnügen.

Herzlich Danken möchte ich an der Stelle Öztürk und Tobias, für die vielen Infos und noch mehr Fotos und vor allem für eine tolle Zeit in der Türkei.

Alles nachzulesen im Heft:


Klettern September 2013 

Freitag, 13. September 2013

Extreme Wagnisse


...aber nicht nur Reinhold ist bereit viel zu wagen:

 




Auch Jerry Moffat: 

Extrem Minimalistisches in tuntig-pinken Lycras.



Oder natürlich Kurt Albert:

Extremer Sautanz in extrem kurzen Turnhosen. 




Auch er ist dabei, Wolle Güllich:

Extremer Klimmzug in verdammt weißen und viel zu langen Tennissocken.








Aber das stilistisch wohl größte Wagnis geht dieser Alpinist ein:
 Extremes Frieren am Watzmann in völlig uncooler Hippiemütze!

Donnerstag, 5. September 2013

Der schwerste 6. Grad...



...oder ungewollte Neuerschließung

Schweigend sitzen wir in der offenen Hecktüre des Bullys und mummeln unser Frühstücksbrötchen in uns hinein. Es ist kurz nach sechs Uhr morgens. So früh steht man nun wirklich nicht an einem Urlaubstag auf. Doch gestern ist es schon so unerwartet heiß geworden, dass wir in der Wand beinahe verbrannt wären. Schultern und Beine zeigen  deutlich rote Spuren des intensiven Sonnenbades. Also wurde heute der Wecker noch eine Stunde früher gestellt. Vielleicht sind wir ja, wenn es richtig heiß wird, schon oben. 8 Seillängen bis zum glatten 6. Grad sollen uns 250 Meter die Parete San Paolo hinaufführen. Selene heißt dann die ganze Unternehmung. Die Göttin des Mondes. Passt zumindest zur Uhrzeit.

 
So richtig hat keiner Lust zu reden. Die Euphorie ist im Laufe der Tage einer gewissen Routine gewichen. Aufstehen, frühstücken, klettern, absteigen, relaxen. Auch sind wir nach diversen Klettertagen und großer Hitze schon ganz schön fertig. Trotzdem sollte es heute die „Selene“ noch mal sein. Hat es doch vorgestern schon wegen akutem Kräftemangel zum Abbruch nach der ersten Seillänge und einem eingeschobenen Pausentag geführt.
Eine halbe Stunde später finde ich mich am ersten Stand wieder. Auch Heni scheint im Nachstieg gut voranzukommen. Mein Blick wandert über die Bergketten und ich beobachte, wie sich die ersten Sonnenstrahlen über den Monte Stivo kämpfen. „Lass dir ruhig Zeit“, flehe ich die Sonne gedanklich an. Doch am 2. Stand brennt sie schon wieder unerbittlich auf unserer Haut. Dafür läuft die Kletterei gut. Heni erreicht mich und wir werfen gemeinsam einen Blick auf den gestern liebevoll von mir abgezeichneten Routentopo. Ein bisschen nach links queren und dann über einen kleinen Überhang, so stellt sich die Skizze dar. Also klettere ich los. Eine Sanduhrschlinge führt zu einem Ringhaken. Von dort sehe ich weit entfernt links über mir einen Überhang. Da muss es sein. Also quere ich weiter. Inzwischen ca. 5 Meter links vom letzten Ring sehe ich trotz der bislang akzeptablen Absicherung weder einen Haken noch einen offensichtlichen Ort, der eine mobile Sicherung beherbergen würde. Die zu überwindende Platte wird griff- und trittärmer. Doch noch mal einige Meter weiter links entdecke ich ein kleines Plateau und nach einem untersuchenden Blick auch zwei Standhaken. Laut Topo sollte dort zwar gar keiner sein, doch in Anbetracht des sonst entstehenden Seilverlaufs war es auch wiederum gut, dass dort noch ein Zwischenstand eingerichtet worden war. Eine runde, offene und wenig tiefe Einfurchung durch die Platte schluckt glücklicherweise meinen 2er-Camelot. Nicht nur an mich, sondern auch an die nachsteigende Heni denkend empfinde ich das zu absolvierende Manöver vom Ring zum Stand zu gelangen als halsbrecherische Aktion. Leider spuckt die Wand meinen Lieblingscam bei meiner ersten Bewegung wieder aus. Dieses altbekannte Gefühl steigt in mir auf. Jenes, welches immer wieder im Laufe eines Kletterlebens die Frage auf wirft: Was mache ich hier? Warum sitze ich nicht am Gardasee oder in einem Eiscafé?
Beim zweiten Mal wird mein Cam geduldet. Dass er im Sturzfall an Ort und Stelle bleibt, glaube ich in diesem Moment schon, aber nur, weil ich es glauben möchte, und rette mich mit hektischen Bewegungen auf das Plateau. Ich hoffe, dass Heni jetzt ebensoviel Glauben aufbringen wird, und fordere sie zum Nachkommen auf. Auch sie kommt mit kleineren mentalen Verschleißerscheinungen am Stand an. Erneut wird meine Toposkizze begutachtet und diskutiert. Beide sind wir uns einig, dass dieser Stand eine sehr vernünftige Sache ist. Wie wäre doch die Seilreibung gewesen, wäre man direkt weitergeklettert? Und überhaupt bieten sich doch diese Quadratmeter, zudem im Schatten gelegen, für diesen Zweck an.
 
Und von diesem Punkt konnte man nun das erste Highlight der Route angehen. Der erste von „vielen Überhängen, die infolge ihrer Gutgriffigkeit relativ leicht zu übersteigen sind“, so stand es geschrieben. Im 6. Grad befindet sich diese Passage und voller Vorfreude steige ich ihr entgegen. Die 3 Meter überhängender Fels sind von einem Riss durchzogen, welcher offensichtlich auch die darüber liegende Wand teilt. Ich klettere die ersten Meter an. Gute Griffe finde ich nicht. Vielmehr bleibt erst einmal nur, den Riss zu piazzen. „Darüber wird schon eine Kelle kommen“, denke ich, aber sie kommt nicht und während meine Arme dicker werden, klettere ich bis zum letzten No-Hand-Rest vor dem Überhang ab. „Ich bin ja auch schon platt, zudem schmieren die Griffe in der prallen Sonne. Wirst dir doch jetzt nicht den Onsight nehmen lassen. In einer 6er-Seillänge!“ Also noch mal. Die Züge gehen schon etwas besser, aber die Suche nach der relativen Gutgriffigkeit bleibt wieder ergebnislos. Und noch mal, und wieder ab zum No-Hand. Und noch mal und noch mal. „Das muss doch gehen!“ Die Versuche werden schon etwas ungeduldiger und wütender und schließlich stehe ich wieder am Ende des Überhangs in Piaz-Stellung und gebe die Suche nach der Kelle auf. Stattdessen stelle ich, krampfhaft das Öffnen der Tür verhindernd, pumpend und keuchend, „Jetzt aufpassen“ rufend, den linken Fuß auf Reibung, den rechten in den Riss, den linken nochmals hoch und stemme mich weiterhin mit aller Spannung in die Gegendruckposition. Inzwischen liegt die letzte Sicherung weit unter mir und das Einhängen der leicht angegammelten Seilschlinge würde nochmals ein extrem wackeliges Unterfangen werden. Mit Armen dick wie Betonpfeiler und einer ordentlich angeschlagenen Psyche würge ich das Seil in die Expressschlinge und atme auf. Auch auf dem Weg zum Stand vermisse ich die relative Gutgriffigkeit, aber der ernsthaften Gefahr entronnen, lassen sich die übrigen Meter auch noch absolvieren.

„Immer tüchtig in die Schlingen greifen“, lautet mein wohlwollender Rat an Heni, in der Sorge, dass sie als bekennender Nichtfan von Überhängen dort auch ihre liebe Not haben wird. Wie eine halbe Ewigkeit kommt es mir vor, die Heni benötigt, um die Länge begleitet von einigen Unmutsäußerungen zu absolvieren.
Ich nutze die Zeit, die nächste Länge zu mustern. Und um mir die Gefährlichkeit des weiteren Abstands zur ersten Sicherung gründlich einzureden. Zudem tauchen wieder kleinere Ungereimtheiten zwischen Skizze und Realität auf. Ob der Topo schlecht ist oder ich schlecht abgezeichnet habe, mag ich in dem Moment nicht beurteilen, aber es ist wie üblich anzunehmen, dass die Schuld nicht bei mir liegt. Wie dem auch sei –die namensgebende mondsichelförmige Verschneidung geht nicht senkrecht über dem Stand los. Vielmehr gilt es, vorweg ca. 15 Meter Querung zu absolvieren, bis ich eine, wenn auch kurze und nicht gebogenen, Verschneidung ausmachen kann. Als Heni offensichtlich auch etwas von der Kletterei mitgenommen bei mir auftaucht, informiere ich sie kurz über die Ungereimtheiten und klettere dann los. Mit der entsprechenden psychologischen Vorarbeit  im Gepäck klettere ich zittrig die erste Seilschlinge 4 Meter über meinem Kopf an. Die Platte ist von der Sonne schmierig. Eine traumhafte Querung folgt. Es geht unter einer goldgelben, versinterten Wandzone her und nach einigen Metern steige ich in Richtung Verschneidung an. Dort angekommen sind meine Arme wieder ziemlich dick und ich schüttele die restlichen Meter bis zum Stand fast an jedem Griff sekundenlang meine Arme aus.


Heni kommt nach. Die „Mach mal zu“-Frequenz steigt deutlich an. Da ich nun in der prallen Sonne stehe, meine Füße in den Kletterschuhen auf das doppelte angeschwollen sind und nun der Platz im Inneren nicht mehr auszureichen scheint, weil meine gestern noch leicht geröteten Schienenbeine  sich im Zeitraffer von Lachs- zu Krebsrot verfärben und weil ich überhaupt einen großen Drang verspüre, bald anzukommen, bete ich mantraartig: „Komm schon, mach schon, das bekommst du schon hin!“, vor mich hin.

„Ich komme hier nicht weiter. Hier geht gar nichts mehr!“, reißt mich jäh aus meinem Gebet. Heni hängt in der Verschneidung. Immer und immer wieder probiert sie, die Stelle zu lösen, doch es lässt sich kein Millimeter mehr Seil einholen. „Geif ins Pärchen! Häng dir ’ne Schlinge als Tritt ein! Lass ruhig alles hängen!“, sind meine Empfehlungen. Doch immer wieder kommt: „Geht auch nicht!“ als Antwort. 4 SL trennen uns nur noch vom Gipfel und einem bequemen Spaziergang ins Tal. Zugegebenermaßen keine sonderlich leichten, wenn man dem Topo glauben darf, aber alles absehbar. Mit Grausen denke ich jedoch an eine mögliche Abseilfahrt und die damit verbundenen Ungewissheiten und Strapazen. Eine SL mit langer Querung, die Plattenstelle, die den Camelot nicht aufnehmen wollte, zurückklettern und überall Bäume und Büsche in der Wand, die mit Vorliebe abgezogene Seile auffangen und nicht wieder freigeben. „Komm schon, mobilisiere noch mal alles! Das geht schon und hier oben reden wir weiter!“, rufe ich noch mal verzweifelt runter. Als Konsequenz wird auch tatsächlich das Seil locker und Heni bewegt sich weiter aufwärts. Stück für Stück kämpft sie sich zum Stand. „Eine Seillängen im 5. Grad und wir haben etwas Schatten unter dem großen Dach. Dort pausieren wir etwas und überlegen dann, ob wir weiterklettern oder abseilen.“ Heni stimmt zu. Natürlich steht die Sonne so , dass es unter dem großen Dach keinen Quadratmillimeter Schatten gibt, und natürlich fällt es Heni nicht wesentlich leichter , diese Seillänge zu absolvieren. Nach den letzten verzweifelten Überredungsversuchen meinerseits („Nur noch 3 Längen!!!“) beginnt die Abseilfahrt durch den Glutofen der Parete San Paolo. Die zuletzt gekletterte Länge ist noch unproblematisch. Doch dann gilt: Alles, was man hingequert ist, muss man auch wieder zurückqueren. An der Prusik halb baumelnd halb kletternd erreiche ich einen Ringhaken und hänge eine Expressschlinge ein. Auf Höhe des Standes versuche ich das gleiche Manöver nochmals, mit dem Unterschied, dass der Weg durch einen dichten Busch versperrt ist. An diesem angekommen, hängt das Seil schon im 45 Gradwinkel und ich habe das Gefühl, jemand umklammert mich fest an der Hüfte. In unelegantester und auf nichts mehr rücksichtnehmender Art durchquere ich den Busch und hänge schnell meine Bandschlinge ein bevor es mich quer durch den Busch zurückzieht. So schon bin ich von oben bis unten zerkratzt. Heni ergeht es nicht viel besser. Sie muss ja noch die Schlingen aushängen. Beide ziehen und zerren wir, ich am unteren Ende des Seils, um sie durch den Busch in Richtung Stand zu manövrieren, sie an Fels und Busch und was sie sonst noch zu greifen bekommt. So langsam beginnen wir, uns mit unschönen Titeln anzureden und genügend Gründe zu finden, warum der andere Schuld an der Misere ist. Das Schlimmste an der gesamten Situation ist die Tatsache, dass die Sarca in Seh- und Hörweite gemütlich gen Gardasee fließt und die Sehnsucht nach ein wenig Erfrischung kaum noch auszuhalten ist. Aber weiter geht die Abseilfahrt bis zum schon öfters erwähnten Plateau. Dort, endlich mal im Schatten, beruhigen wir erst einmal die Gemüter und überlegen. „Wenn wir die SL nicht zurück klettern wollen, müssen wir ins Ungewisse gerade runter seilen. Leicht schräg versetzt müsste der vorherige Stand sein …“ Sehr unsicher bin ich mir in dieser Vermutung, habe aber auf der anderen Seite wenig Lust, die Querung, die meine Cams so gar nicht mag, zurück zu klettern. „Bestimmt! Mach das! Da kommt bestimmt ein Stand!“ Ich glaube bis heute nicht, dass diese Ermutigung auf der Abwägung von Fakten und dem daraus resultierenden Schluss basierte. Vielmehr scheint der Unwille zu queren bei Heni um ein Vielfaches ausgeprägter zu sein. Also seile ich ins Ungewisse hinab. „Hier sind Sanduhrschlingen einer anderen Tour!“, rufe ich Heni zu, „dann finden wir hier auch einen Stand!“ Tue ich auch wenige Meter darunter. Der erscheint mir ziemlich unbequem und so seile ich weiter ab in der Hoffnung, auf dem darunterliegenden Band den  ersten Stand unserer Route zu finden. Dies hieße dann nur noch eine Abseilfahrt. Und dem ist dann auch so.

Wenigstens das Bier ist kalt!

Wie geschlagene Ritter kommen wir in brütender Hitze auf dem Parkplatz direkt an der Sarca an. Mit uns eine weitere Seilschaft, die ebenfalls schlecht gelaunt und schimpfend von ihrer ebenso ätzenden Abseilfahrt in der Via Helena berichtet. Die gruppentherapeutische Möglichkeit des Erfahrungsaustauschs und der anschließende Sprung in die Sarca lassen die Enttäuschung etwas abklingen. Aber mir kommt da auch ein Gedanke. Wieder am Bully zurück zücke ich den Topo, welcher als Vorlage für meine Skizze diente, und beim ersten Blick kommt mir das Gespräch während des gestrigen Zeichnens wieder in den Sinn.
„Hier ist die Nachbartour eingezeichnet, die dort entlangläuft, willst du das nicht mit einzeichnen?“ „Ach Quatsch. Da müsste man schon sehr doof sein, um sich in die Nachbartour zu verirren.“ Offensichtlich waren wir sehr doof! Resultat des nicht mit skizzierten Routenverlaufs der Nachbartour war: eine „neue Seillänge“ mit einer ca. 10-Meter-Querung auf einer ungesicherten und kaum absicherbaren Platte und Onsight-Begehung der beiden Schlüsselseillängen der Elios im Grad 7+ und 7. Und hätten wir zu guter Letzt noch gewusst, dass die verbleibenden 3 Längen leichter gewesen wären als die, die auf unserer Skizze standen, wären wir vielleicht noch bis zum Gipfel geklettert und hätten eine brandneue Kombination „erschlossen“. So oder so beginnen wir laut zu lachen und freuen uns, mal wieder den „Rückzug im Ernstfall“ geprobt zu haben, auch wenn der letzte Klettertag ohne Durchstieg blieb.

Montag, 19. August 2013

Ohne Zweifel: Eifel!



Wunderbare Eifel




Köln ist vielleicht nicht gerade für seinen Felsreichtum bekannt. Trotzdem haben wir Kölner so etwas wie ein Heimatklettergebiet. Und damit meine ich nicht die Hohenzollernbrücke, die in den 90ern aus mir unerfindlichen Gründen zu einem ernstzunehmenden Kletterspot avancierte. Zweimal habe ich diesem Brückenpfeiler der bekannten den Rhein überspannenden Brücke die Chance gegeben mich von seinem Potenzial zu überzeugen. Erfolglos! Weder die Kletterei an „grobbehauenem Muschelkalk“, welche sich 2m weiter rechts nicht arg von 2m weiter links unterschied, noch die Tatsache, dass man für 5-10 Meter langweiliger Kletterei jedes Mal umständlich ein neues Top-Rope installieren musste, überzeugten mich. Die meisten Kletterer schien das zur Schau stellen ihres Crazy-seins geradezu zu beflügeln, aber mich törnten die Blicke von hunderten vorbei kommenden Passanten, die gezückten Kameras von staunenden japanischen Reisegruppen sowie der immer wieder gehörte und noch kein mal als witzig befundenen Spruch „Da drüben gibt es eine Treppe“ ganz schön ab. Noch nicht einmal die ernstgemeinte Bewunderung und Anerkennung von Passanten konnte mich  darüber hinwegtäuschen, dass die meisten Routen so leicht waren, dass  sie wohl jeder einigermaßen sportliche Tourist ebenfalls hätte erklimmen können, wenn wir ihm unsere Kletterschuhe geliehen hätten. Inzwischen  setze ich mich hin und wieder  gerne mit einem Bier an der Hohenzollernbrücke auf die Kaimauer und bestaune das illustre Treiben. Von TEVA-Sandale bis Buff-Kopftuch mit voller Outdoorbekleidung ausgerüstet, wird mit freiem Oberkörper geächzt, gestöhnt,  „Come on, Allez“ und „Fuck“ gebrüllt um die Aufmerksamkeit noch etwas mehr auf sich zu lenken. Jedes Mal freue ich mich, wenn meine erstaunten Blicke bemerkt werden und das Gestöhne, Geächze, sowie das „Come on, Allez“ und Fuck“ -Gebrülle noch lauter wird. Wenn man anderen eine Freude macht schmeckt ein kaltes Kölsch halt doch doppelt so gut.
Nein, die Hohenzollernbrücke meine ich nicht als Heimatgebiet. 

Heimatklettergebiet der Kölner
Eben so wenig wie den Kölner Dom. Auch wenn er im Stadtgebiet mit 157,38 Metern die höchste Erhebung darstellt und ich einmal ein Domfoto mit eingezeichneter Routenführung einer Mehrseillänge gesehen habe, bietet sich ob der drohenden Konseqenzen eines Ersteigungsversuches dieses Prachtbauwerk nicht als Kletterspot an. Aller Absurdität zum Trotz erreichten diese urbanen Kletterentwicklungen 2006 mit der Ausrichtung der ersten Buildering WM in Köln ihren Höhepunkt. Was die japanische Reisegruppe wohl bei dem Anblick einer fünfzigköpfigen Gruppe mit großen Matten auf dem Rücken, die mit dem öffentlichen Personennahverkehr Brücken und Denkmäler abfahren um mit lautem Gebrüll diese zu erklimmen, gedacht hat möchte ich mir gar nicht ausmalen.
 
Nein ich meine echten Fels in echter Natur. Und diesen findet man als Kölner in der Eifel. Sicherlich haben Mayener oder Nideggener sowie Gerolsteiner und wahrscheinlich sogar die Dürener mehr Anrecht darauf zu behaupten in der Eifel heimisch zu sein. Trotztdem würde ich schon ob der vielen dort verbrachten Tage, ob der großen Liebe zu Land und Leuten und natürlich ob der Kletterei, mich dort als so etwas wie ein Local bezeichnen.
Die Eifel verwöhnt uns mit den verschiedensten Gesteinsarten. Zum Bouldern und Klettern laden Sandstein sowie Sandsteinkonglomerat, Dolomit, Basalt und Vulkangestein namens Basanit ein. Diese bilden Überhänge und Platten, sowie Risse und Kanten. Eine internationale Bedeutung kann man der Eifelkletterei jedoch auch trotz der zahlreichen niederländischen Gäste kaum zusprechen. Vielmehr zeichnet wohl die geografische Beschaffenheit des kleinen Nachbarlandes dafür verantwortlich, dass man neben Eifler Platt und kölsch auch holländisch zu hören bekommt.
Kurzgesagt die Eifel ist einfach wunderbar. Und das nicht nur im eigentlichen Sinn, sondern auch im wortwörtlichen! Denn wer in der Eifel klettern geht ist mit so vielen Wunderlichkeiten konfrontiert, wie ich es von noch keinem sonstigen Klettergebiet gehört habe. Wie sonderbar so vieles ist, merke ich zugegebenermaßen immer erst dann, wenn ich fremden Kletterern von der Eifel erzähle.

 Heute verboten: Trichterkante im Rurtal
Das Klettern im Rurtal ist sicher nicht jedermanns Geschmack. Die einst von Wolfang Güllich(!) benutzte Umschreibungen „überhängender Kartoffelacker“ für das Gezerre an glatten Kieseln ist schon sehr treffend und die damit einhergehende Kletterei in nicht immer ganz festem Sandsteinkonglomerat ist mit Sicherheit um ein vielfaches gewöhnungsbedürftiger als jene in der fränkischen Schweiz. Trotzdem warten an unzähligen Türmen und Massivwänden jede Menge eindrucksvoller Routen auf potenzielle Wiederholer. Aber leider Gottes werden viele von ihnen noch sehr, sehr lange oder gar vergebens darauf warten. Denn schon Ende der 40er Jahre entbrannten die ersten Streits um Gebietssperrungen und bis in die heutige Zeit ist das Sperren und Öffnen einzelner Wände ein Politikum, zwischen Gemeinden, Bürgermeistern, Landräten und Naturschutzverbänden auf der einen Seite und DAV und IG-Klettern auf der anderen Seite. Wer jetzt meint, dass es doch nur löblich sei, in der Eifel noch auf so viel Respekt vor der Natur zu stoßen, dem sei in Erinnerung gerückt, dass der größte Stolz der Region Eifel wohl der Nürburgring ist.

 
Senkrechter Kartoffelacker? Nein Klettergeschichte: Die Kühlenbuschtraverse 7c (damals 10-)
Eine gravierende Folge dieser Sperrung ist, dass ein wesentlicher Teil der Geschichte des Kletterns in der Region nicht weiterleben kann. Historisch bedeutende Nadeln dürfen nicht mehr beklettert werden, viele Routen die in der Schwierigkeitsentwicklung  eine wichtige Rolle gespielt haben sind nicht mehr wiederholbar. Eine Weiterentwicklung existiert kaum noch oder nur geheim und illegal. Ein Beispiel ist die Kühlenbuschquerung, die ersten Klettermeter in der Eifel im zehnten Schwierigkeitsgrad. Es handelt sich um eine überhängende Traverse an kleinen Leistchen und Slopern. Sie befindet sich an einem Quaken mitten im Wald. Weder zu schützende Vogelbrut findet dort statt, noch sind irgendwelche seltenen Farne und Flechten zu finden. Lediglich die Siedlung der schützenswerten besseren Gesellschaft ist auf dem Weg zu diesem traumhaften Spot zu durchqueren. Da ein Mensch mit Matte auf dem Rücken anzunehmender Weise eine Menge kriminelle Energie besitzt, bleibt das Gebiet besser gesperrt und die Siedlung frei von Mattenträgern.

Um die erste „echte Nach-oben-klettern-Zehnminus“ auch vor unzulässigem Beklettern zu schützen, haben die dort ansässigen Nideggener kurzerhand zur Flex gegriffen. Das Abflexen unliebsamer Kletterhaken ist sicherlich eine über  die Eifel hinaus bekannte Praktik.  Um aber ihrem wunderbarem Ruf gerecht zu werden, wurden die Haken des „Zöllibats“ sowie anderer bedeutender Routen lediglich an der oberen Seite durchgeflext. Wer es nun also wagen würde, unerlaubt zu klettern, wird seine gerechte Strafe bekommen. Und was die Strafe ist, wenn der nicht als defekt erkennbare Haken im Sturzfall ausbricht, kann  sich wohl jeder ausmalen. 
Eine Zeit fern von Sperrungen und Eintritt.

Nun schon seit langer Zeit ist der Status quo, dass einige wenige Wände freigegeben sind. Insgesamt sind es wohl nicht einmal 10% der vorhandenen Routen. Um aber nun an diesen wenigen Wänden Klettern zu dürfen, muss man „Eintritt“ bezahlen. Was mir selber oft nicht mehr bewusst ist, wie sonderbar es für einen nichteifler Kletterer klingen muss, dass man für das Klettern an Felsen Eintritt bezahlen muss. Offiziell dient diese Praktik der Kontingentierung der Kletterlaubnisse. Denn mehr als 100 Personen dürfen nicht an einem Tag im Rurtal klettern. Dass diese Marke schon seit Jahren nicht mehr erreicht wurde, nicht zuletzt, weil jeder Kletterer das geringe freigegebene Potenzial eh schon längst abgegrast hat, ändert an dieser Regelung nichts. Ganz im Gegenteil wurde es doch langsam Zeit den Eintritt von 2,50 Euro auf fünf zu verdoppeln. „Zur Pflege des Klettergebietes“ wird das Geld verwendet, so heißt es von Seiten der Stadt Nideggen. Das ändert weder etwas daran, dass in den meisten Routen total verrostete Ringe baumeln, noch  dass Kletterer hier und da schon einmal einen Umlenkhaken plötzlich in der Hand halten. Aber glücklicherweise wurde in Schilder investiert die den gebietsunkundigen Klettertouristen informieren, wen er im Falle des ausgebrochenHakens oder sonstigen Unglücken anzurufen und zu welchem Fels er die Retter zu bestellen haben. Dass aber insgeheim doch noch vom internationalen Kletterbesuch geträumt wird, beweist die gleich in drei Sprachen übersetzte Handlungsanweisung. In eine korrekte englische und französische Übersetzung wurden die Gelder, die für ein bisschen Kletterspaß kassiert werden jedoch nicht investiert. „Vous etes Hinkelstein 3“ und „Select the number 112“ klingen eher nach dem Werk der Dorfschullehrerin.

Wo es Regeln gibt, muss es natürlich auch Kontrollen geben, ob diese auch befolgt werden. Und auch das kostet natürlich. So gibt es zwei Kontrolleure, die den Besitz des an der Tankstelle Nideggen erworbenen Klettertickets, sowie die Bekletterung der richtigen, also freigegebenen Wände überprüfen. Ehrenamt mit kleiner Aufwandsentschädigung, so war meine Vermutung für diese Tätigkeit. Die beiden älteren Herren, erfüllten ihre Pflicht jedenfalls mit entsprechender Überzeugung und Bissigkeit. Doch zuletzt stolpere ich tatsächlich über eine Anzeige der Stadt, wo eine Stelle als Kletterwart als Minijob ausgeschrieben war welche nach TVöD Entgetgruppe 3 entlohnt werden sollte. Auf meine per E-Mail eingereichte Anregung, den Posten eines Kletterwarts mit einer Person mit Kletterkenntnissen zu besetzen, welche sich auch um die „Pflege des Klettegebietes“ sprich um die längst überfällige Sanierung der Haken kümmern könnte, bekam ich von der Stadt Nideggen leider noch nicht einmal eine Antwort. Bleibt anzunehmen, dass die Eintrittsgelder für erstrittene lebenslange Renten von verunfallten Kletterern nach Hakenausbruch gespart wird.
Zuletzt waren Freunde von mir an einem sonnigen Wintertag an erwähntem Sandsteinquaken im tiefen Nideggener Wald. Drei Erwachsene und ein Kleinkind genossen die herrliche, frische und klare Luft. Und weil man schon mal da war, probierte man natürlich auch mal die Züge der so bekannten wie auch schönen Traverse aus. Ob es Anwohner waren die mit Argusaugen Matten auf dem Rücken der jungen Leute erspäht hatten und folgerichtig zum Telefonhörer griffen oder aber Zufall, mag ich nicht beurteilen. Jedenfalls hielten sie sich dort noch nicht lange auf als schon der „Wadenbeißer“  von den Kontrolleuren mit gezücktem Handy dastand und 110 „selectete“. Die jungen Eltern mit einem Bündel Kleinkind unter dem Arm in die eine Richtung und der junge Mann, der unerkannt bleiben möchte mit Klettermatte auf dem Buckel in die andere Richtung begann die wilde Flucht vor der Nordeifler Auffassung von Recht und Ordnung. Als alle ihre an unterschiedlichen Stellen geparkten Autos erreicht hatten und den „Tatort“ verließen, durchkämmten schon mehrere Streifenwagen die Umgebung. 

Ein anderes Mal war ich mit einem Kumpel und einem rechtmäßig erworbenen Kletterticket am dritten Hinkelstein klettern. Eine weitere Seilschaft tauchte auf und begann zu klettern. Man kam ins Gespräch und tauschte sich aus. Es wurde ein richtig netter Klettertag. Bis plötzlich ein weißer Nobelgeländewagen den nicht allzu breiten Wanderweg herunterkam. Einer der Jungs war gerade dabei einen 9er aus zu bouldern. Als er den Wagen sah schrie er fast schon panisch „Lass mich runter!“, was sein Partner auch gleich  tat. „Schneller!“ Mit vielen Jahren Sicherungserfahrung hielt ich diese Anweisung für nicht sonderlich ratsam, denn es war sicherlich schon die Ablassmaximalgeschwindigkeit erreicht. Als er nun den Boden erreicht hatte begannen sich beide von ihrem jeweiligen Ende des Seils zu befreien und loszulaufen. 100 Meter ging es den Wanderweg runter und dann schließlich in den Wald. „Die haben wohl kein Ticket“, sag ich zu meinem Kumpel, da steht schon der Wadenbeißer neben uns. „Tickets“, man könnte meinen, dass vor seiner Pensionierung die Kölner Verkehrsbetriebe sein Arbeitgeber waren. Wir zeigen unsere Tickets vor. „Sind hier noch mehr Leute am Klettern?“ „Nein“, behaupten wir. Wem gehört dann das Seil, das da hängt?“ „Uns.“ „Und die zwei Rucksäcke?“ „Wir sind mit viel Gepäck hier!“ Der Wadenbeißer glaubt uns kein Wort und eine Befragung die Börne und Thiel alle Ehre gemacht hätten beginnt und endet für ihn erfolglos. Als er weg war, klettern wir noch mindestens ein halbes Stündchen, bis die beiden Schwarzkletterer wieder auftauchen um ihre Sachen einzusammeln. Ob sie ihre wertvolle Ausrüstung unter anderen Umständen geopfert hätten vergesse ich leider zu fragen, aber wir zollen den beiden eine gehörige Portion Respekt für Rebellentum und eine mehr als filmreife  Flucht.
No comment!

So ist das Klettern in der Eifel. Wunderbar! Aufregend anders, immer wieder ein Erlebnis. Und wenn die Verantwortlichen sich endlich dazu durchringen könnten die Bestimmungen und Reglementierungen auf ein Vernünftiges Maß zu reduzieren, wäre die Nordeifel wieder ein wunderbares Ziel mit viel Potenzial für alle Kletterer der Region.

Ohne Zweifel: Eifel!


Ergänzung:

Man muss feststellen, dass die Bergwacht Nideggen begonnen hat Umlenker in einigen Routen auszutauschen. Es tut sich also erfreulicherweise etwas. Dementsprechend bleibt zu hoffen, dass das Rurtal sich im Laufe der Zeit wieder in ein lebendiges Klettergebiet entwickelt, Sperrungen aufgehoben werden und alte, rostige Haken ersetzt werden. 

Weitere Links zum Klettern in der Eifel:

http://www.stonevibes.de/ 

http://www.klettern-im-rurtal.de/