Sonntag, 12. Juli 2015

Belgian Chocolate

Nur vom Feinsten in Freyr- Klettern, Pommes und Bier

„Belgien ist grau, meistens regnet es aber es gibt unglaublich leckere Pommes.“ So lautete einst mein vorgefertigtes Bild von unserem kleinen Nachbarland, welches ich lediglich von der Durchreise zumeist nach Fontainebleau kannte. 

Kann auch schön sein in Belgien!




Bis auf die leckeren Pommes musste ich meine Meinung nach meinem ersten Besuch des Klettergebietes Freyr komplett ändern. Abgesehen von den Felsen war nichts grau. Weder das malerische Städtchen Dinant direkt am Maasufer gelegen noch der herrlich grüne Wald, der sich die Hänge zum Flusstal hinunter zieht. Statt Regen gab es einen herrlich blauen Himmel, der kein Wölkchen duldete.  Stellte sich nur noch die Frage, was denn die Kletterei zu bieten hat. 

Al´Legne ein Alpinklassiker - nicht nur für Mutige
Freiwillig war ich zugegebener-
maßen nicht hier. Ich wäre doch viel lieber ins schöne Luxemburg gefahren. „Da weiß ich,  was ich habe“ waren meine Gedanken. „Und dort sind ja eh noch so viele Projekte zu klettern. Mehrere Seillängen klettern, das muss nicht sein?  Es geht doch um Schwierigkeitsgrade nicht um Länge!   Und die sollen doch in Belgien eher stramm sein! Und die Absicherung eher nicht so toll.“ Tatsächlich warnt schon der Topo von Marc Bott frei nach Asterix: „Ceasar hat gesagt, die Belgier sind die Mutigsten!“

Ob meine Einstellung oder Belgien für das kommende Desaster verantwortlich war weiß ich nicht, aber was dieser Klettertag dann bringen sollte, übertraf meine schlimmsten Befürchtungen. Schon die vermeintliche Aufwärmeroute zitterte ich auf für eine Kalkplatte unerwartet schlechten Tritten und flutschigen Griffen empor, während ich gedanklich vom „Schwerklettern“ Abschied nahm.   Ganz im Gegenteil wollte ich den Grad der nächsten Route noch mal nach unten korrigieren und machte mich an einer 5c Rissschuppe zu schaffen. Beim zweiten Haken, der nicht gerade niedrig steckte, war ich physisch und psychisch völlig erledigt, keuchte und kämpfte, dachte bei mir „Ein Königreich für einen Keil“, schmierte weiter auf nicht existenten Tritten herum um mir schließlich ein resignierendes „Mach zu!“ abzuringen und diesen Klettertag wieder am Boden angekommen grummelnd zu beenden. Den restlichen Tag „genoss“ ich den grünen Wald, den blauen Himmel die Maas und Pommes, welche mit einem tröstenden Hoegaarden-Bier runtergespült wurden.  

„Freyr, niemals wieder!“ war mein Fazit dieses desaströsen Tages. Und folgerichtig ließ der nächste Besuch lange auf sich warten. Warum ich diesem Gebiet eine zweite Chance einräumte weiß ich gar nicht mehr. Wahrscheinlich, weil ich Luxemburg inzwischen doch zu oft besucht hatte und sich die ehemaligen Projekte zu Ex-Projekten oder zu „Werd-ich-niemals-klettern-können-Projekten" verwandelt hatten.
Mein zweiter Besuch war zwar auch ereignisreich, hinterließ jedoch einen völlig gegenteiligen Eindruck. 

In dem Wissen, dass man direkt am Gebiet biwakieren kann, waren wir für ein ganzes Wochenende angereist. Samstags früh los zu fahren, so war der Plan, der trotz eines langen Kneipenabends in die Tat umgesetzt wurde. Mit der Konsequenz jedoch, dass auf dem Freyrer Parkplatz angekommen erst einmal der Müdigkeit nachgegeben werden musste. Erst gegen Nachmittag war diese endgültig überwunden. Das Fazit ziehend, dass vor Klettertrips entweder weniger gefeiert oder länger geschlafen werden müsste, machten wir uns endlich auf den Weg den angenehmen Zustieg talwärts auf uns zu nehmen. 

Wie Rippen ziehen sich die einzelnen Sektoren vom Hochplateau zum Maasufer hinunter. Dabei erreichen sie Wandlängen bis 100 Meter. Der  „Tête de Lion“ ragt sogar in den Fluss hinein. Auf einem schmalen betonierten Steg kann man auch diesen Felsen passieren. An heißen Klettertagen ist es eine Wonne zwischendurch Gurtzeug durch eine Badehose zu ersetzen und ein erfrischendes Bad in der Maas zu nehmen.ochplateau
Moderat in den alpinen Klassikern...
Wir statteten dem Sektor Jeunesse einen Besuch ab. Viele Routen vom 4. bis zum 7. französischen Grad warten hier auf Wiederholer. Der Fels ist stark strukturiert und löchrig. Die Routen sind zumeist leicht geneigt bis leicht überhängend. Kleingriffige und technisch anspruchsvolle Sequenzen bilden die Schwierigkeiten. Lediglich die Routen „Welcome to the machine“ 7a und „Hercule Poivrot“ 7a+ ziehen athletisch durch einen Überhängenden Wandteil.

Das Klettern klappte hervorragend. Die Routen gefielen uns ausgesprochen gut. Die vielen bis zu 30 Meter langen Routen zwischen 6a und 6c sind traumhafte Linien und werden ihren Graden gerecht. So zum Beispiel „Les negresses verts“ 6a, welche die Kruxpassage auf den ersten 8 Metern bereithält, aber anschließend kontinuierliches Dranbleiben in gutgriffigem aber überhängendem Fels verlangt. 

Glücklicherweise klärt sich auch der Hakenmythos. Die Absicherung der Routen empfinden wir immer als vernünftig, sehr selten als schlecht aber auch nie als übertrieben. Man kann sagen, dass man dem Grad gewachsen sein sollte. Bei alten Routen, wie beispielsweise „La Grunne“ aus den 30ern kann das Legen eines mobiles Sicherungsgerätes schon mal ein allzu alpines Gefühl verhindern.

Alles korrekt?
Der zweite Teil des Nachmittages führt uns zum Sektor „Le Pape“. Hier so wie auch an seinem benachbartem Massiv Al`Legne befinden sich sowohl schwerste Sportkletterouten bis 8c, sowie auch klassische und moderne Mehrseillängen. 
 Zwischen „Samarkande“6c und „Les pavés du nord“6c klettern wir diverse  Routen die zunehmende Erschöpfung ignorierend hintereinander weg. Die meisten befinden sich in den Graden 6a und 6b. Tolle Bewegungen verlangt der Fels einem ab um die technisch anspruchsvollen und kräftigen Schlüsselpassagen zu überwinden. Als die Arme gar nichts mehr ziehen mochten, die Finger keinen Griff mehr festhalten konnten und die Füße nur bei dem Gedanken an das enge Schuhwerk schmerzten hieß es als letzte sportliche Leistung des Tages die hundert Höhenmeter nun zu Fuß  zu überwinden. Hierbei vergisst man gerne mal die schönen vergangenen Stunden beginnt über die Steilheit des Weges, das Gewicht des Rucksacks und natürlich über die schmerzenden Füße zu fluchen. Ist diese Hürde jedoch geschafft warten im „Chamonix“ direkt am Parkplatz eben die leckeren belgischen Pommes Frites, mit einer Riesenauswahl an Saucen und einer noch größeren an belgischen Bierspezialitäten, ebenso wie typische Desserts wie den bekannten „Gauffres“ (Waffeln). 

Hier kann man sich wirklich für tolle Kletterleistungen belohnen oder für einen schlechten Klettertag entschädigen. Einen Grund findet man auf jeden Fall seinen Abend im „Chamonix“ zu verbringen um anschließend sein Zelt  auf der Biwakwiese aufzuschlagen. Für die Nutzung der Wiese, sowie der sanitären Einrichtungen des „Hotel Merinos“, so wie die Hütte des belgischen Alpenvereins sich nennt, entrichtet man bei Jean Bourgoise, der als eine Art Hütten- und Gebietswart fungiert einen Obolus von zwei Euro pro Übernachtung. Vorraussetzung für das Klettern sowie für die Nutzung der Biwakwiese ist die Mitgliedschaft in einem Alpenverein.

Die Kruxseillänge der Al´Legne
Am Sonntag beschlossen wir ob der vorhandenen Möglichkeiten und trotz der nicht vorhandenen Vorbereitung eine Route die im Topo mit vier Seillängen und dem Grad 6a angegeben war zu klettern. „La Diretissima“ lautete ihr Name welcher uns direkt in alpinste Stimmung versetzte. Nur mit Kletterkram und einem kleinen Rucksack bewaffnet stiegen wir parallel zum Sektor Al´Legne zum Maasufer hinunter. Am Einstieg angelangt warteten schon drei Seilschaften auf ihre Gelegenheit die gleichnamige Route einzusteigen, welche sich in 6 Seillängen um den Bug des Felsens schlängelt. Im Jahre 1933 wurde „Al´Legne“ von Graf Xavier de Grunne mit Hilfe von 8 Kompagnons darunter König Albert und Prinz Leopold als erste Kletterroute auf dieses Massiv eröffnet. Nur zwei Jahre später wurde „La Diretissima“ mit selbst hergestellten Haken und um den Bauch gebundenen Hanfseilen in dicken Stiefeln geklettert. Mit Freikletterstellen von 5c und 6a kann diese von enormer Kühnheit zeugende Tat in dieser Epoche als alpinistisches Meisterstück betrachtet werden.

Ob des Staus am Einstieg lautete die Devise erst einmal Zeit totschlagen. Der Untätigkeit fiel auch der Großteil unseres kleinen Getränkevorrats zum Opfer.
Als eine gute Stunde später auch wir uns zu rüsteten begannen schauten uns die letzten belgischen Seilschaften fragend an. „Keine Helme, keine Keile?“ stand in ihren Gesichtern zu lesen. „Waren wir nicht drauf vorbereitet!“ war wahrscheinlich nicht in unseren Gesichtern zu lesen. Trotzdem hielten wir das Risiko für tragbar.

Kalimero und Kalimera
Wir stiegen ein. Da der erste Stand schon nach 10 Metern auftauchte und mit 8 Kletterern mehr als überfüllt wirkte, beschloss ich direkt zum zweiten zu klettern, den ich auf einem Absatz ca. 15 Meter über mir vermutete. Leider war hier kein eingerichteter Standplatz zu entdecken, also ging die Reise weiter. Die mitgenommenen Expressschlingen wurden weniger, die ausgegebenen Seilmeter hingegen mehr. Als ich einen Standplatz entdeckte war ich bereits dabei, durch konsequentes auf und ab klettern das jeweils vorletzte Päarchen zu bergen um es als nächstes zu verbauen. Dies schien die beobachtenden Belgier in ihrer Einschätzung unserer Seilschaft mehr als zu bestätigen. Endlich am Stand angekommen holte ich Isabelle nach. Ebenfalls am Stand angekommen vertraute sie mir an, dass ihr inzwischen nicht mehr ganz so wohl bei der Sache war. „Lass uns umkehren.“ War ihre Bitte. „Okay“ sagte ich, „hast Du einen Achter dabei?“ Ihre Verneinung und die daraus entstehende Konsequenz, dass nur ein Weg aus der Tour führt, nämlich nach oben, bestätigte nun auch uns, dass die Belgier nicht ganz falsch lagen mit ihrer Einschätzung.

Ein kühles Bad wäre auch nett gewesen!
Die Lage entspannte sich zunehmend und wir genossen die Kletterei hoch über der Maas mit Blick auf des Schloss Freyr und das gute Wetter.
Kurz vor dem Ausstieg der Route fand ich mich vor einer überhängenden Verschneidung wieder, aus der ich auf das Gipfelplateau manteln sollte. Die letzte Sicherung befand sich gefühlte 5 Meter unter mir. Diese Situation holte mich wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. Realisierend, dass die Kommunikation zum unteren Stand schwer eingeschränkt war, malte ich vor meinem inneren Auge eine aufs äußerste konzentrierte Sicherungspartnerin aus und schwang mich nicht schön aber effektiv auf den Gipfel, hakte mich in den großen Standring und atmete tief durch.

Mist - Schuhe am Einstieg vergessen!
Nahezu zeitgleich tauchte der erste Belgier aus der Al´Legne neben mir auf und fragte mich mit großen Augen „Trés difficile?“(TD die klassische Bewertung der Route) „Äh, oui!“ Zu mehr Konversation war ich gerade kaum im Stande, freute mich aber innerlich über die offensichtliche Anerkennung.

Inzwischen kann ich meine Freyrbesuche kaum mehr zählen. Wenn Belgien nicht grau und verregnet vorhergesagt ist, und ich zwei Tage übrig habe, nehme ich die zweieinhalb Stunden Fahrt sehr gerne auf mich, um an der Maas Sportklettern, einen Hauch von alpinem Klettern, Zelten, Pommes frites und Hoegaarden zu genießen. Die Vielfältigkeit, gepaart mit der Entspanntheit die es dort zu erleben gibt macht es zu einem wichtigen Klettergebiet für Kletterer aus dem Rheinland.


Einkehr:  Das beschriebene "Chamonix" ist nun 
          eine wild bewachsene Wiese. Für 
          Ersatz sorgt die Friture "La Cobeli"

Topo:     Freyr - Marc Bott und Ruben Beckers
          Auflage 2014 
          Erhältlich in "La Cobeli"
                                  

Bildergebnis für topo freyr 2014 marc bott