Samstag, 16. September 2017

Gutes aus der Eifel



Dolomitfreuden in Gerolstein


© Climbingstories


Eifler Gebietsindex


Das allgemeine Klettertreiben in den Eifler Gebieten folgt glücklicherweise leicht zu interpretierenden Trends. Vergleichen wir einmal die handvoll Möglichkeiten in der Eifel zu Klettern mit Aktien. Befindet sich die Trendkurve des einen Gebietes auf steilem Kurs nach oben, ist eine unaufhaltsame Talfahrt einiger Anderer vorprogrammiert. Einige Traditionsgebiete werden dann von „Langzeitanlegern“ frequentiert. „Do simmer immer schon jeklettert“ lautet das Motto einiger Dinosaurier der Szene. Die Trendbewegungen vollziehen sich in der Regel sehr langsam, meist über Jahre. Ebbt der Zustrom in einem bestimmten Gebiet erst einmal ab, kann auf einen erneuten Boom sehr lange gewartet werden.

Felssozialisation extrem

Diese Durchschaubarkeit kann sich jeder Kletterer seinen Vorlieben entsprechend zu Nutze machen. So kann nun derjenige, dem „Socializing“ oder „Sehen und gesehen werden“ wie es einst hieß, am Herzen liegt, sich Wochenende für Wochenende in den angesagten Szenegebieten verlustieren und den bekannten Gesichtern aus der Halle demonstrieren, dass man auch „Outdoor“ ist. Dieses Freizeitvergnügen setzt allerdings eine gewisse Stressresistenz voraus und avanciert somit zur besonderen Ausprägung einer Extremsportart.
Die prüfenden Blicke der Wohlgesonnenheit vorgaukelnden Kontrahenten im Rücken wissend wird der Onsight gleich erheblich schwerer, wenn er nicht eh durch spontane „Du musst in den Untergriff kreuzen!“- Zurufe zu Nichte gemacht wurde. Hat man es doch mal geschafft in einem Anflug von Kletterflow-Erlebnis die Welt um sich herum zu vergessen, wird man meist jäh durch ein „Come on Toni, geht schoa!“ oder „Schiggeding“ (je nach Angesagtheit der aktuellen Klettermovies) ins Hier und Jetzt zurück geholt.

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Das Projektieren von Routen gestaltet sich noch beschwerlicher. Denn abgesehen von Wartezeiten zwischen den einzelnen Versuchen, welche die Muskulatur auch bei 30°C im Schatten wieder erkalten lässt, wird man von Mitstreitern regelrecht auf Linie gebracht. Man hat noch nicht begonnen die Krux auszubouldern, da wird einem schon die einzig kletterbare Lösung nahe gebracht, so dass auch kein Zweifel bleibt, dass ein Probieren von möglichen Alternativen nicht nur als unhöflich sondern geradezu dreist empfunden würde. Immerhin dient das eigene Scheitern an der aufgezwungenen Zugabfolge dem guten Zweck das Ego des Ansagers ein wenig zu stabilisieren und aufzupolieren.

Apropos scheitern: Was das Szenegebiet noch als extrem auszeichnet ist die Tatsache, dass man sich nicht nur mit dem eigenen Erfolg oder Scheitern auseinander setzen muss. Man darf stets am emotionalen Zustand der anderen Vertikalsportler Teil haben. Geteiltes Leid ist halbes Leid und geteiltes Glück ist doppeltes Glück, so scheint das Motto zu sein. So ist es dann auch Usus alle Anwesenden mit regelmäßigem und lautstarkem Statusreport auf dem Laufenden zu halten. Ein lautes „Fuck!“ unterstreicht ausdruckstark die Verärgerung oder Verwunderung über das Scheitern in der Route, die man doch eigentlich locker beherrschen würde. Anschließend kann es nützlich sein einen detaillierten Bericht über die schlechten Bedingungen bis in den letzten Winkel des Gebietes dringen zu lassen. Ein lautstarkes „Yes!“ hingegen hebt den eigenen Erfolg in einem langen Projekt heraus und sorgt für ausreichend Anerkennung und Gratulation.

Solche Rituale in vollen angesagten Gebieten gäbe es noch zu Hauf zu schildern. Und auch ich kann mich nicht frei davon sprechen diese mit zu zelebrieren.

Die Kunst des antizyklischen Kletterns

Gerade dies ist der Grund, warum ich wieder mehr die Abgeschiedenheit und Ruhe am Felsen suche. „Antizyklische Gebietswahl“ nenne ich den Schlüssel zum Erfolg bei der Suche nach einsamen und ruhigen Tagen am  Fels, wo die Natur noch als eben solche wahrgenommen werden kann, weil es nicht zu geht wie am Swimming-Pool vom Hotel „Gran Paradiso“. So wie einige Gebiete der Eifel im Fokus der Klettermassen stehen, haben andere an Popularität verloren. Hierzu gehören derzeit auch die Gerolsteiner Dolomiten. Findet man unter der Woche Zeit dort zu klettern, werden einige wenige Wanderer, die erstaunt und beeindruckt kurz verweilen, die einzigen Menschen sein, die einem am Wandfuß begegnen.

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An Wochenenden muss man sich den Felsriegel schon mit einigen weiteren Seilschaften teilen. Es herrscht in der Regel eine lockere Atmosphäre. Nette Gespräche entstehen. Unabhängig von Schwierigkeit und disziplinärer Ausrichtung versteht man sich. Die einen kommen um Sportkletterrouten bis  zum unteren 10.Schwierigkeitsgrad zu klettern, während andere in alpinem Ambiente für ebensolche Unternehmungen Erfahrungen sammeln wollen.
Meint man nun, dass die Felsen von Gerolstein weniger zu bieten haben als ihre angesagten Konkurrenten, so liegt man meines Erachtens gänzlich falsch. Für mich ist die Hustley, so der Name des Massivs, ein zwar nicht sehr großes Gebiet, welches jedoch kaum Wünsche offen lässt. Hat man in der Touristeninformation Gerolstein oder an Wochenenden im Eiscafé „Dolomiti“ erst einmal sein Kletterticket für fünf Euro erworben, trennen einen nunmehr lediglich 10 Minuten Zustieg von den ersten Touren.

Hoch über Gerolstein in eifler Idyll liegt der Felsriegel mit provencialischem Flair. Die südseitige Exposition und die Wärme reflektierende Eigenschaft des Fels macht Klettern an sonnigen Tagen beinahe ganzjährig möglich. Es sind eher die Sommermonate an denen Klettern ob der geringen Fluchtmöglichkeiten vor der Hitze dem Besucher etwas Anpassungsfähigkeit abverlangt. Ab frühem Nachmittag kann man dann dem wandernden Schatten nach klettern.

Bis zu 30m lange Routen vom  2.-10. Schwierigkeitsgrad bieten sowohl dem Freund solide mit Bohrhaken abgesicherter Routen als auch Anhängern „preußischen Gedankenguts“ á la: „Bergtouren, die man unternimmt, soll man nicht gewachsen, sondern überlegen sein.“ Hier kann dann auch gerne  einmal der ein oder andere Keil oder Friend zum Einsatz kommen, wenn man dem alten, wackeligen Normalhaken noch nicht einmal mehr einen psychologischen Nutzen zuschreiben mag.

Eine besondere Freundschaft

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Die Kletterei findet vorwiegend an leicht geneigtem bis leicht überhängendem Dolomitgestein statt. Leisten und Löcher dominieren das bei Zeiten etwas versteckte Griffangebot. Leichtere Routen zeichnen sich oft durch dolomittypisch starke Strukturierung aus, wodurch auch senkrechtes Gelände mit gangbaren Vierern und Fünfern aufwartet. So zum Beispiel zieht sich der „Sonntagsweg“ (5) immer  den offensichtlichsten Strukturen folgend  25  Meter durchs Gemäuer und ist mit dem Begriff Felsfahrt sicherlich am treffendsten beschrieben.

Insbesondere in den oberen Graden formen sich häufig Untergriffe, Leisten und Fingerlöcher zu Kruxen, die so durchdacht erscheinen, dass man gar nicht glauben mag, dass die Natur sie so für uns gefertigt hat. Hierfür ein gutes Beispiel ist die „Freundschaft“(9), der Extremklassiker in Gerolstein. Eine schönere Linie in dem Grad kenne ich in der Eifel nicht. Breiter gefächert können die Fähigkeiten nicht sein, die potenzielle Aspiranten für diese Route im Gepäck haben müssen. Nach leichtem Gekraxel auf einen 5 Meter hohen Vorbau folgt man bei leicht überhängendem Gelände einer Henkelreihe senkrecht empor. Eine Querung an Fingerlöchern und Leisten auf, wie immer in Gerolstein, mäßig schlechten Tritten bringt einen zur ersten Krux. Die Statiker werden sich nun gezwungen sehen eine schlechte Leiste bis zum Bauchnabel zu fixieren. Die Meisten entscheiden sich jedoch für einen beherzten Dynamo an einen guten Aufleger. Alsbald folgen ein anderthalb Meter ausladendes Dach, an welchem der Hinweis „Bitte nicht hinauslehnen“ in Form eines der DB entwendeten und in einen kleinen Riß genagelten Schildchens vor die Wahl stellt sich ins Seil zu setzen oder die „Warnung“ augenzwinkernd zu ignorieren und die darauf folgende eigentliche Krux anzugehen. Nicht zuviel sei verraten, denn ein bisschen will ja noch selbst herausgefunden werden, aber wer diese Stelle bezwungen hat, sollte die Arme vor dem vermeintlich leichteren Gelände noch mal gut ausschütteln. Schon allzu viele Aspiranten wurden auf den letzten Metern noch um ihren Durchstieg gebracht und von der Freundschaft jäh abgeschüttelt.
Ausdauer, Fingerkraft und Präzision kann man nicht genügend mitbringen um einen Versuch in dieser Tour zu wagen.

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Auch ausgesprochen nett
Aber auch Routen in niedrigeren Graden bieten traumhafte Linien. So zum Beispiel das Risssystem vom „Radweg“ (5+/6-) oder eine wunderschöne 7- links der Hummelkante. Trotzdem diese Touren schon zu meinen Standards an einem Klettertag in Gerolstein gehören, entlocken sie mir beim clippen des Umlenkers immer wieder ein leises „Wow“.

Nach einem Topo in gebundenem Format suchte man früher erfolglos. Es war Gang und Gäbe Routeninfos mündlich auszutauschen. Was man wusste wurde weitererzählt,  was nicht, wurde erfragt. Und der Rest wurde probiert und diskutiert. Schwierigkeitsgrade unterlagen somit auch größeren Schwankungen. Ihnen wurde daher eine wesentlich geringere Bedeutung beigemessen. Die vermutetet Bewertung war lediglich ein Indikator dafür, ob man in eine Route einstieg oder es ehrfürchtig sein ließ.

Vielleicht hat eben dies auch dazu beigetragen, dass Gerolstein an Popularität eingebüßt hat. Denn auch im Klettersport spielen Leistung, Vergleich und eben Grade eine wichtige Rolle.
Bei entsprechender Recherche im Internet stößt man inzwischen auf einen liebevoll gepflegten, handgezeichneten, von privater Hand erstellten Topo. Auch dieser verspricht keine Vollständigkeit aber dient mit Sicherheit einer groben Orientierung für Gebietsneulinge. Und nicht der zuletzt erschienene Topo „Das beste im Westen“ gibt einen Überblick darüber, was man in Gerolstein klettern kann.
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Perfekte Versorgung

Zu guter Letzt sei erwähnt, dass wohl kein anderes eifler Klettergebiet eine so erstklassige medizinische Erstversorgung bietet. Das Gerolsteiner Krankenhaus befindet sich gerademal einen Dolomitsteinwurf entfernt der Hustley. Es sei jedoch zu hoffen, dass man sich lediglich des Vorteils bedient, an heißen Tagen kalte Erfrischungsgetränke am Krankenhauskiosk erwerben zu können.