Samstag, 29. Juni 2013

Coming out




Ich mag Fußball- und das ist gut so!







































Ich bin in einer Kleinstadt in der Nähe von Bonn aufgewachsen. Auch wenn das beschauliche Meckenheim namentlich zur „Voreifel“ gehört, waren die Berge sowie auch jeglicher Bergsport sowohl geografisch, als auch in unserer Wahrnehmung weit, weit entfernt. Die Zeit der Kletterhallen war noch nicht angebrochen und wenn sie es wäre, wäre bestimmt kein halbwegs geschäftstüchtiger Kletterhallenbetreiber in spe auf die Idee gekommen sein Geld in Meckenheim zu begraben. Dementsprechend steckten wir, bzw. unsere Eltern, unsere sportlichen Ambitionen in gängige Vereinssportarten. Als ein missglücktes Jahr an der Blockflöte meiner Eltern letzte Hoffnung schürten, meine Talente in sportlichen Disziplinen zu finden, wurde ich im zarten Alter von sechs Jahren kurzerhand zum Nachwuchs- Beckenbauer gemacht. 


Bergsport als Ausgleich zum Kicken
Meine Trainerin war eine massige, rotgelockte Kante, die mit einem riesigen Schlüsselbund und einer mehr als ruppigen Art mehr Autorität ausstrahlte, als alle bis dato mit meiner  Erziehung beauftragten Menschen zusammen. Wahrscheinlich sogar mehr als Rocky, Rambo und meine Flötenlehrerin gemeinsam. Frau Friedenstab, wie sie unpassender Weise hieß, verzweifelte anfangs an meinem sehr unausgegorenen Regelverständnis.  So erschien es mir doch wesentlich leichter und effektiver den Ball vor dem Sturm durch die gegnerischen Reihen unter den Arm zu klemmen, damit er mir nicht wie schon so häufig direkt wieder abgenommen wird. Ebenso fand ich es für einen überschwänglichen Torjubel unerheblich, dass ich nach vielen Wochen harter Arbeit mein erstes Tor auf der falschen Seite einköpfte. Trotz aller Schwierigkeiten im Training kam endlich die Chance zu zeigen, was in mir steckt. Ich lief auf im Dress des SV Rot-Weiß-Merl. 

Das gesamte Outfit war noch recht improvisiert, und so spielte ich zwar in einer weißen Hose, welche aber nicht die eigentliche Bestimmung hatte Sportler zu bekleiden. Es handelte sich vielmehr um eine normale kurze weiße Hose. Im Gegensatz zu einer echten Fußballshorts brachte sie mir den Vorteil, dass ich, wie ich es gewöhnt war, meine Hände tief in den Hosentaschen vergraben konnte, was, so glaube ich, auf den Betrachter und somit auch auf Frau Friedenstab, wenig engagiert wirkte. Da offensichtlich alle außer mir wussten, wohin sie zu laufen und was sie tun hatten, blieb ich regungslos mit den vergrabenen Händen an einem Platz stehen. Das ich bei meinem Debut offensichtlich nicht den besten Eindruck hinterlassen habe, wurde mir klar, als meine Mutter die Hosentaschen meiner provisorischen Rot-Weiß-Merl-Hose zunähte. 

Hände an den Bund- nicht in die Taschen
Trotzdem hielt meine Trainerin an mir fest, und im Laufe der Zeit wurde ich ein leidenschaftlich kickendes Kind, welches sich keine Sportschau entgehen ließ, Panini- Bilder sammelte und natürlich schon einen Lieblingsverein hatte. Rückblickend würde ich vermuten, dass die mit meinem Club identischen Vereinsfarben rot und weiß ausschlaggebend für die Wahl waren, da mir als Kind weder die räumliche Nähe bewusst war, noch meine später aufflammende Leidenschaft für die gesamte Stadt Köln absehbar gewesen wäre.

Auch wenn ich meine Vereinskarriere zugunsten von diverse anderen Sportarten wie Judo, Basketball, Tischtennis und Tennis im Jugendalter aufgab, so kickte man eigentlich doch immer. Ob auf dem Garagenhof mit den Nachbarskinder, auf dem Schulhof in der Pause, ob in der Bolzplatzliga als der (politisch motivierte) S.I.F.F. Linksaußen gegen die Bolzercrew, es gab eigentlich immer die Möglichkeit ein bisschen Fußball zu spielen. Erst mit dem Umzug in die große Stadt Köln wurden die Gelegenheiten weniger bis ich gar nicht mehr spielte. 

Aus Mangel an sportlicher Aktivität ließ ich mich von Kumpels zu einem Kletterhallenbesuch überreden und eine neue Leidenschaft wurde geboren. Aus regelmäßigem Feierabendsport wurde schnell ein Lebensinhalt. Aus einmal wöchentlich Hallenklettern wurde schnell „An den Fels, wann immer es geht“. Und was früher der Sportteil der Zeitung war, waren nun Magazine wie „Rotpunkt“ und später „Klettern“. Was früher die Sportschau war, war nun meine stetig wachsende Sammlung  an Filmen wie „Masters of Stone“, „The real thing“ und „Dosage“. Und da Klettern so aufregend und neu, so abenteuerlich und anders war, fehlte es auch nicht an den alten Sportarten. 

Dass Fußball in Klettererkreisen keinen hohen Stellenwert hatte war schnell zu bemerken. Der gute Kletterer verachtet Fußball als Inbegriff  von Spießigkeit, als Symbol gesellschaftlicher Konformität, als sportliche Weiterführung eines christdemokratischen Konservativismus. Fußball zwängt in Regeln, Fußball beschneidet die Freiheit und Fußballer sind dumm. „Wenn klettern einfach wäre, würde es Fußball heißen!“ 

Ist das so?
Ich war jung, ich brauchte den Sport. Mir wurde klar, dass ich über die Irrwege meiner jungen Jahre, über die düsteren Abgründe meiner sportlichen Entwicklung, über meine erzkonservative Bewegungsvergangenheit im Kreise meiner neuen Mitsportler besser schweigen würde. Zumal es sehr angesagt war auf die Frage wie man zum Klettern kam sich mit der Antwort zu brüsten: „Weil ich nicht Fußball spielen kann!“. Zuletzt habe ich noch in einer Umfrage gelesen: Sätze die ein Kletterer niemals sagen würde- Ich mag Fußball.

Klettern ist mehr. Klettern ist Freiheit. Keine Regeln, keine Zwänge, keine Wettkämpfe, kein Sport im eigentlichen Sinne. Nein, Klettern ist eine Lebenseinstellung!  Und wehe dem, der sich mit den profanen Allerweltssportarten abgibt.
Doch auch der Klettersport befindet sich im Wandel. Die Zeiten, als diese Tätigkeit lediglich im Dreck und von trockenem Brot lebenden Hippies vorbehalten war ist vorbei. Ob leider oder zum Glück, mag jeder selbst beurteilen, aber heute ist auch Klettern ein Breitensport. Ein sportliches Messen hat von jeher stattgefunden ob im Klettern von möglichst schweren Routen oder im Wettbewerbsklettern. Auch ein nicht festgeschriebenes Regelwerk über ethisch einwandfreie Begehungen à la Rotpunkt, Onsight und Flash gibt es nicht erst seit gestern. Wenn man erzählt, dass man klettert lässt das heute kaum noch jemanden staunen. In Fontainebleau läuft man plötzlich dem Chef mit Crashpad und E9-Hose über den Weg und auf der Stripsenjochhütte trifft man die Nachbarin nach erfolgreicher Besteigung des Totenkirchls.

Kletterhallen erlauben es konzentriert und zielgerichtet zu trainieren. Und auch der Hobbykletterer ist in dieser Beziehung meist engagiert und weiß schon eine Menge über Methoden.  Und dazu gehört auch das Wissen um die Sinnigkeit von Ausgleichssport. Und trotzdem wird bei dieser Thematik ein weiter Bogen um vermeintlich „normale“ Sportarten gemacht. Und an dieser Stelle möchte ich mich Outen:
Ich mag, nein, ich liebe Fußball! 


Fällt etwas auf?
Auch ich habe schon eine Menge Sportarten nebenher betrieben. Denn bei aller Liebe zum Klettern, wird auch dieses hin und wieder langweilig. Insbesondere wenn man nicht im Gebirge lebt und einem dem zur Folge nur einige mittelprächtige Felswände zur Verfügung stehen, die man im Laufe der Jahre schon zigtausendfach beklettert hat, oder alternativ der Besuch der Kletterhalle bleibt, wo das Klettern dann und wann zur leidigen Trainingspflichtübung verkommt sehnt man sich danach gelegentlich  auf andere Art und Weise ins Schwitzen zu kommen. Aufgrund der von der Szene stark reglementierten Auswahl an Zweitsportarten gehen die meisten (und so auch ich lange Zeit) einfach joggen. Das ist unverfänglich, geht schnell und kostet nicht viel. Dafür ist es bei Zeiten auch ganz schön dröge und es fällt nicht immer leicht sich zu motivieren. Ebenfalls legitim sind andere „Extremsportarten“. So habe ich beispielsweise mit dem MTB fahren angefangen. Und auch hierfür habe ich schnell Feuer gefangen. Dies hatte jedoch den Nachteil, dass man an den rar gesäten freien Tage an denen auch das Wetter mitspielt überlegen musste, ob nun Biken oder Klettern Vorrang hat. Und da die Liebe insbesondere zu steilen, sturzanfälligen Abfahrten, sowie zu immer höher werden Sprüngen und Drops entfacht war, hatte sich der Wunsch nach einer etwas weniger Moral erfordernden Tätigkeit auch erledigt. 
  
Auch wenn eine solche Aussage unpopulär ist. Fußball ist der ideale Ausgleich zum Klettern. Es füllt all die Trainingslücken, die beim Klettern offen bleiben.
Das ich beim Klettern auch bei guter Fußarbeit mehr die Arme als die Beine beanspruche und es beim Fußball, Nomen est Omen, genau umgekehrt ist, liegtauf der Hand. Dass jedoch eine gute Kraftausdauer benötigt wird vereint die beiden Disziplinen wiederum. Des Weiteren ist Klettern ein Sport, bei dem ich agiere. Der Fels ist in der Regel unbeweglich, ich plane meine Bewegungen voraus und setze sie um. Ausgenommen das Bouldern und Speedklettern ist der Klettersport zudem ausgesprochen langsam. Fußball ist diesbezüglich das genaue Gegenteil. Das Spiel basiert auf Schnelligkeit und Reaktion, Fähigkeiten also, die ich beim Klettern total vernachlässige. 

So geht´s auch: Fuppes und Parkour

Aber gerade vom organisatorischen ergänzt eine gelegentliche Kickrunde den Trainingsalltag des Vertikalisten perfekt. Dieses Frühjahr beispielsweise war verregnet wie selten.  Der Trainingswinter in der Halle wurde länger und länger. Und die Sehnsucht nach draußen wurde größer und größer. Während der Regen ein Klettern in der Eifel absolut unmöglich machte, schadete er so mancher Schlammschlacht auf dem Bolzplatz gar nicht. Ganz im Gegenteil, war der Platz immer in perfekter weicher Kondition und das Spielen im Nieselregen machte die Sache nur noch lustiger. Der Zeitaufwand ist im Gegensatz zum Klettern oder Biken gering. Während man für ein bisschen Felsspaß oder eine MTB-Tour meist eine lange Autofahrt und mehrere Stunden  Aufenthalt einplanen muss, ist man nach eineinhalb Stunden auf dem um die Ecke liegenden Bolzer total platt und hat eine Menge Spaß gehabt. 

Aber vielleicht ist es auch gut, dass es so ist, wie es ist. Denn in Zeiten, in denen man mit seinem Klettererdasein niemanden mehr beeindrucken kann, in denen das Emporsteigen an Felswänden weder mit Heldentum noch mit Rebellion, geschweige denn mit der großen Freiheit assoziiert wird, kann man sich als fußballmögender Kletterer geradezu als Querdenken fühlen. Neue Denkweisen taten sich im Alpinismus immer schon schwer. Den siebten Grad wollte auch keiner wahrhaben. Ich jedenfalls werde demnächst beim Klettern im Wetterstein meine FC-Köln- Stutzen und die Fußballshorts tragen, wie einst die 68er-Jugend Che Guevara T-Shirts und mich dabei frei und rebellisch fühlen.
 



Dienstag, 25. Juni 2013

Faire du Blog

Noch nie war ich so Outdoor!

 
Schluß mit Nudeln und roter Sauce! So geht Outdoor!
 














Seit vielen Jahren schon fahre ich raus zum Klettern. Seit vielen Jahren Urlaub im Dreck. Und seit vielen Jahren das unbestimmte Gefühl: Irgendwie ist das Alles nicht richtig so. Alles so schmutzig und improvisiert, das Essen immer das gleiche, und beim morgendlichen Toilettengang brennen die Oberschenkel während die Hexe ob der Kauerstellung wiedereinmal in den nicht mehr ganz jungen Rücken schießt.  Doch das alles kann nun ein Ende haben. Denn hier erfährt man wie Outdoor wirklich geht!

outdoortraum.blogspot.de 

Ob Haute Cuisine auf dem Mini-Trangia-Kocher oder das Extremoutdoorleben eines Jerry Moffats im Dreck schimmliger Barraken am Fuße der Felsen Großbritanniens, ob Wandern im Kaisergebirge oder Plaisierklettern in den Gutensteiner Alpen, kein Thema ist Outdoor-Traum zu dreckig.

In den Rubriken Klettern, Wandern, Campen, Ausrüstung, Natur, Umwelt und Soziales, sowie Bücher und Filme bekommt der Leser dieses noch jungen Blogs informative, gut recherchierte und sehr lesenswerte Beiträge zu diversen Themen geboten, rund um die uns allen bekannte Sehnsucht: "draußen und weg"- zu sein!

Bleibt nur die Frage, wann und in welcher Rubrik das Thema : "How to shit in the woods?" erörtert wird. In Erwartung eines diesbezüglichen Artikels habe ich die Beiträge zu Natur, Umwelt und Soziales schon abonniert.

Also, drei Daumen hoch und ein beherztes: Gefällt mir!

outdoortraum.blogspot.de   


Dienstag, 18. Juni 2013

Wiener Schmäh

Sonne, bester Fels und kurze Zustiege... 

...alpine Sportkletterrouten, von Plaisier bis Abenteuer. Jedoch ein Haferl statt Cappuccino.
Die Süd-Ost-Seite der Hohen Wand

Ein Blick in den Dienstplan ließ mein Herz höher schlagen. Da reihten sich doch tatsächlich fünf freie Tage am Stück aneinander. Eine Woche Urlaub, ohne einen Urlaubstag zu nehmen. Es lebe der Schichtdienst. Bleibt nur noch die quälende Frage zu klären: Wohin? Nach Franken? Ne, nicht bei fünf Tagen. Da kann man auch mal ein längeres Wochenende hinfahren. Nach Arco? Wahrscheinlich schon viel zu heiß im Juni! Aber war da nicht neulich in der "Klettern" ein Artikel über das Hausgebiet der Wiener Kletterer? "Hohe Wand", so der Name des Gebietes bei Wiener Neustadt, ca. 50km südlich von Wien. Die übliche Recherchemaschienerie wurde angeworfen, Artikel gewälzt, Internetseiten durchforstet, und Topos von infrage kommenden Touren ausgedruckt. Und mit jedem verschlungenen Wort, mit jedem betrachteten Foto, mit jeder studierten und im Geiste schon gekletterten Tour erschien die Hohe Wand in einem noch schöneren Glanze. Es führte also kein Weg mehr an  "Traum und Wirklichkeit", "Die wüde Posteline", "Osterhasi", "Tirolersteig Mixtüre" und vielen Routen mehr vorbei.

Nach einer Hitzeschlacht auf der A3, die uns quer durch die deutsche und anschließend auf der A1, die uns dann noch quer durch die österreichische Republik führte erreichten wir dass angepriesene gelobte Land, den "Naturpark Hohe Wand" in der Dämmerung. Nichts desto trotz musste der obligate Gang zur Wand und zum Einstieg der von uns für den kommeden Tag auserkorenen "Osterhasi" (6 SL/ 7-) noch erfolgen. 

Die Toposkizze und ein inzwischen dem Siedepunkt nahes Ankunfsbier in den Rucksack geworfen, hasteten wir den zwar in der Tat kurzen aber dafür umso steileren Zustieg zur Wand hoch. Natürlich gab es im fast dunklen nicht wirklich viel mehr als die ersten der 160 Meter zu sehen, trotzdem tat es gut endlich draussen zu sein und sich auf den kommenden Klettertag zu freuen. 

Saubere Toiletten, und kaltes Wasser für die Bierkühlung

Knapp unterhalb des Parkplatz der Hohen Wand, befindet sich eine Zeltwiese mit deren Einrichtung die Gemeinde Meiersdorf den Auswüchsen des wild Campens entgegenzusteuern suchte.Für das nächtigen im Zelt oder Bully und für die Nutzung wirklich sauberer und gut gepflegter Sanitäreinrichtung, wirft man Anmeldung samt zu entrichtender Gebühr (12,-Euro pro Nacht für ein Zelt oder Bully) in einen Briefkasten und wird wie wir am kommenden Morgen mit einem herrlichen Blick auf die gesamte Süd-Ost- Wand entlohnt. Entsprechend ungeduldig drückten wir uns das Frühstücksmüsli rein, während wir die Wand immer wieder nach unserer Linie absuchten. Und so dauerte es auch nicht mehr lang, bis wir gerüstet am Einstieg standen. 

 Auch wenn für meinen Geschmack Routennamen wie "Osterhasi" für heroische Bergfahrten irgendwie deplaziert wirken, so gab es in dieser Tour doch so manches glücklich machende Osternest zu suchen und zu finden. 
"Osterhasi" wer vergibt denn solche Routennamen?
In 6 Seillängen gilt es das Totenköpfel, den wohl markantesten Pfeiler der Süd-Ost-Wand zu ersteigen. Den Totenköpfelsteig im sechsten Grad immer wieder kreuzend sucht sich die Tour einen ziemlich direkten und immer logischen Weg zum Gipfel. Schon in der ersten Länge wartet eine kraftvolle und ausgesprochen schöne Kletterstelle über ein Baucherl, welches den potentiellen Wiederholern auf das einstimmt, was da noch wartet. Auch die nächsten drei Eappen halten immer wieder schönste Kletterei auf mal plattig und mal leicht überhängendem festen Fels bereit. Wer am vierten Stand angekommen sein Limit schon erreicht oder gar überschritten sieht, kann sich nun über den Handlerausstieg zum Gipfelplateau arbeiten. Wer jedoch noch genügend Reserven hat, der macht sich nun an die Crux-Seillänge. Wir dachten wir hätten sie. 


Wahrscheinlich die "Must take a picture" Stelle
Schon nach wenigen Metern  finde ich mich jedoch an zwei guten Seitgriffen wieder, suche aber auf dem sonst so gut wie Strukturlosen Fels vergeblich nach einer Kante oder einer kleinen Dulle welche meine viel zu großen Alpinpuschen beherbergen wollen. Da sonnenbeschienener Kalkfelsen nicht gerade für seine Reibungseigenschafften berühmt ist, werde ich ob des weit entfernt aussehenden Zielgriffes am unteren Ende eines Risses und ob des rasch ansteigenden Laktatpegels in meiner Fingerbeugemuskulatur zunehmend nervöser. Es galt zu handeln. Und so wurden die Füße auf dem Nichts geparkt und nicht schön aber funtionabel mit aller Kraft an dem linken der beiden Seitgriffe gezerrt, bis ich mit der rechten Hand an den erwünschten Griff kam. Das sich in solchen Situationen  die vermeintlich rettende Kelle immer als schlechter Aufleger herausstellt, brauche ich wohl nicht extra erwähnen, und so ging der Kampf Zentimeter für Zentimeter weiter. Piazen hier, klemmen da, dann mal ein schlechtes Leistchen blockieren und das alles mit betonartigen Unterarmen, Tränen in den Augen und natürlich begleitet von dezentem Gefluche und dem riesigen Wunsch bei einem eiskalten Radler vor einem zünftigen Gasthaus zu sitzen, anstatt sich hier in sengender Hitze abzurackern. Bevor die zweite 7- Stelle auf mich wartete, gab es zumindest eine einigermassen gute Schüttelstelle, welche meinen Armen eine kleine Erholung gönnten. Eigentlich galt es folgend nur zwei Meter auf der Platte nach links zu traversieren, um einen wunderschönen Riss im sechsten Grad zum Stand auszuklettern. Aber dieses "nur" gestaltete sich ob meines schon stark angegriffenen Nervenkostüms, meiner in den Kletterschuhen aufs Maximum angeschwollenen Füße und ob des nicht mehr zu beherrschenden Tremors, der meinen Gliedmaßen in eine orginal Singernähmschiene im Turbogang verwandelte, zu einem riesigen Hindernis. Nach diversen Anläufen, welche wieder am Schüttelgriff endeten zog ich dann doch noch beherzt durch, gelangte zu besagtem Riss und zitterte auch diesen hoch. Nach entsprechender Erholung, war die letzte Länge für uns wieder reine Genusskletterei. Eine traumhafte Rissverschneidung führte zu einem großgriffigen Abschlußüberhang, welcher der Tour ein fuminanteres Finale nicht bescheren konnte.

Da der Gipfel in diesem Fall kein Gipfel, sondern das Hochplateau des "Naturpark Hohe Wand" und somit touristisch gut erschlossen war, wurde uns bewusst, dass das ersehnte Radler in greifbare Nähe gerückt war, und so machten wir vor dem gemütlichen Abstieg über den "Völlerinsteig" eine kurze Einkehr im Gasthof "Postl" und stellten wiedereinmal fest, dass ein kaltes Radler köstlicher kaum schmecken kann, als nach solch einer Schinderei!


Von oben, von unten, von links, von rechts...
Am folgenden Tag kletterten wir die Route "Wüde Posteline" (8SL/ 6). Sie verläuft an einem der vielen etwas gestufteren Wandbereiche. Daher gibt es zwischendrin immer wieder leichtere Schrofenpassagen, oder gar Gehgelände. Wem dies nichts 
...von überall kommen sie angesegelt.
ausmacht, den erwartet trotzdem eine unterhaltsame Tour. Mit 265m Kletterlänge handelt es sich um eine wesentlich längere Tour als die "Osterhasi", dafür gibt es allerdings auch wesentlich weniger Kletterhighlights zu erleben. Die Cruxlänge erlangt ihren Anspruch insbesondere durch den splittrigen und nicht sehr fest wirkenden Fels, an dem man in der leicht überhängenden Wand aber trotzdem gehörig ziehen muss, um die Stelle zu lösen. Weiter oben klettert man über eine sehr schöne Blockkante, von der aus man eine fantastische Sicht auf die Paraglider hat, welche ständig über, neben und unter einem vorbeisegeln. Und man denkt insgeheim:"Spätesten, wenn wir den freudigen Abstieg und ihr den lästigen Aufstieg über die "Völlerin" nehmt, sieht man sich wieder."

Steinböcke und Paraglider- die Hindernisse beim Abstieg


Nach einem Tag Autobahn, zwei tollen, aber anstregenden, weil sehr heißen und schwülen Klettertagen an der Hohen Wand, wird es nun Zeit sich dem Charme des Wiener Lebens hinzugeben und der Kletter- gegen den Städteführer einzutauschen, sich mit Eispalatschinken und Ottakringer Bier für die vergangenen (und noch bevorstehenden) Strapazen zu entschädigen und ein wenig in die Ära Sissi und Franz´l einzutauchen.


Fäkts:

Allgemeines:

Wer aus dem Rheinland 900km abreißen möchte um alpine Sportkletterrouten mit geringerem Wetterisiko, geringeren Zustiegen und gemütlicheren Abstiegen, als es die hohen Alpen zu bieten haben, zu finden, der muss nicht mehr nach Arco fahren.
Das Radler ist nimmer weid!
Auch die Hohe Wand bietet eine Menge Klettereien, verschiedener Schwierigkeiten von Plasiermässiger bis abenteuerlicher Absicherung. Natürlich ist das Wandangebot begrenzt, dafür jedoch umso fleißiger erschloßen. Dies macht den Vebleib in der erwählten Tour nicht immer ganz einfach, da man an jeder beliebigen Stelle potentiell falsch abbiegen kann. Viele Wandbereiche sind gestuft und beinhalten schotterige und schrofige Seillängen. Auch durch Gämsen ausgelöster Steinschlag stellt ein Problem dar.



 Nächtigen:

Zeltplatz "Hohe Wand Blick" am Fuße der Süd-Ost-Wand. Herrlicher Blick, saubere Toiletten und eiskaltes Kranwasser, welches die Bierkühlung ermöglicht überzeugen. Für den dickeren Geldbeutel läßt sic sicherlich ein nettes Fremdenzimmer in den umliegenden Gasthöfen finden.



Recherche und Topographie:

"Führer auf die Hohe Wand- 750 Anstiege auf die Hohe Wand" von Thomas Behm;
 
Topos bei Bergsteigen.at;

Magazin "Klettern" Feb-März 2013;


http://www.naturpark-hohewand.at/.