Ich mag Fußball- und das ist gut so!
Ich bin in einer Kleinstadt in der Nähe von Bonn aufgewachsen. Auch wenn das beschauliche Meckenheim namentlich zur „Voreifel“ gehört, waren die Berge sowie auch jeglicher Bergsport sowohl geografisch, als auch in unserer Wahrnehmung weit, weit entfernt. Die Zeit der Kletterhallen war noch nicht angebrochen und wenn sie es wäre, wäre bestimmt kein halbwegs geschäftstüchtiger Kletterhallenbetreiber in spe auf die Idee gekommen sein Geld in Meckenheim zu begraben. Dementsprechend steckten wir, bzw. unsere Eltern, unsere sportlichen Ambitionen in gängige Vereinssportarten. Als ein missglücktes Jahr an der Blockflöte meiner Eltern letzte Hoffnung schürten, meine Talente in sportlichen Disziplinen zu finden, wurde ich im zarten Alter von sechs Jahren kurzerhand zum Nachwuchs- Beckenbauer gemacht.
Bergsport als Ausgleich zum Kicken |
Meine Trainerin war eine massige, rotgelockte Kante, die
mit einem riesigen Schlüsselbund und einer mehr als ruppigen Art mehr Autorität
ausstrahlte, als alle bis dato mit meiner
Erziehung beauftragten Menschen zusammen. Wahrscheinlich sogar mehr als
Rocky, Rambo und meine Flötenlehrerin gemeinsam. Frau Friedenstab, wie sie
unpassender Weise hieß, verzweifelte anfangs an meinem sehr unausgegorenen
Regelverständnis. So erschien es mir
doch wesentlich leichter und effektiver den Ball vor dem Sturm durch die
gegnerischen Reihen unter den Arm zu klemmen, damit er mir nicht wie schon so
häufig direkt wieder abgenommen wird. Ebenso fand ich es für einen
überschwänglichen Torjubel unerheblich, dass ich nach vielen Wochen harter
Arbeit mein erstes Tor auf der falschen Seite einköpfte. Trotz aller
Schwierigkeiten im Training kam endlich die Chance zu zeigen, was in mir
steckt. Ich lief auf im Dress des SV Rot-Weiß-Merl.
Hände an den Bund- nicht in die Taschen |
Auch wenn ich meine Vereinskarriere zugunsten von diverse
anderen Sportarten wie Judo, Basketball, Tischtennis und Tennis im Jugendalter
aufgab, so kickte man eigentlich doch immer. Ob auf dem Garagenhof mit den
Nachbarskinder, auf dem Schulhof in der Pause, ob in der Bolzplatzliga als der
(politisch motivierte) S.I.F.F. Linksaußen gegen die Bolzercrew, es gab
eigentlich immer die Möglichkeit ein bisschen Fußball zu spielen. Erst mit dem
Umzug in die große Stadt Köln wurden die Gelegenheiten weniger bis ich gar
nicht mehr spielte.
Aus Mangel an sportlicher Aktivität ließ ich mich von
Kumpels zu einem Kletterhallenbesuch überreden und eine neue Leidenschaft wurde
geboren. Aus regelmäßigem Feierabendsport wurde schnell ein Lebensinhalt. Aus
einmal wöchentlich Hallenklettern wurde schnell „An den Fels, wann immer es
geht“. Und was früher der Sportteil der Zeitung war, waren nun Magazine wie
„Rotpunkt“ und später „Klettern“. Was früher die Sportschau war, war nun meine
stetig wachsende Sammlung an Filmen wie
„Masters of Stone“, „The real thing“ und „Dosage“. Und da Klettern so aufregend
und neu, so abenteuerlich und anders war, fehlte es auch nicht an den alten
Sportarten.
Dass Fußball in Klettererkreisen keinen hohen Stellenwert
hatte war schnell zu bemerken. Der gute Kletterer verachtet Fußball als
Inbegriff von Spießigkeit, als Symbol
gesellschaftlicher Konformität, als sportliche Weiterführung eines
christdemokratischen Konservativismus. Fußball zwängt in Regeln, Fußball
beschneidet die Freiheit und Fußballer sind dumm. „Wenn klettern einfach wäre,
würde es Fußball heißen!“
Ist das so? |
Ich war jung, ich brauchte den Sport. Mir wurde klar,
dass ich über die Irrwege meiner jungen Jahre, über die düsteren Abgründe
meiner sportlichen Entwicklung, über meine erzkonservative
Bewegungsvergangenheit im Kreise meiner neuen Mitsportler besser schweigen
würde. Zumal es sehr angesagt war auf die Frage wie man zum Klettern kam sich mit
der Antwort zu brüsten: „Weil ich nicht Fußball spielen kann!“. Zuletzt habe
ich noch in einer Umfrage gelesen: Sätze die ein Kletterer niemals sagen würde-
Ich mag Fußball.
Klettern ist mehr. Klettern ist Freiheit. Keine Regeln,
keine Zwänge, keine Wettkämpfe, kein Sport im eigentlichen Sinne. Nein, Klettern
ist eine Lebenseinstellung! Und wehe
dem, der sich mit den profanen Allerweltssportarten abgibt.
Doch auch der Klettersport befindet sich im Wandel. Die
Zeiten, als diese Tätigkeit lediglich im Dreck und von trockenem Brot lebenden
Hippies vorbehalten war ist vorbei. Ob leider oder zum Glück, mag jeder selbst
beurteilen, aber heute ist auch Klettern ein Breitensport. Ein sportliches
Messen hat von jeher stattgefunden ob im Klettern von möglichst schweren Routen
oder im Wettbewerbsklettern. Auch ein nicht festgeschriebenes Regelwerk über
ethisch einwandfreie Begehungen à la Rotpunkt, Onsight und Flash gibt es nicht
erst seit gestern. Wenn man erzählt, dass man klettert lässt das heute kaum
noch jemanden staunen. In Fontainebleau läuft man plötzlich dem Chef mit
Crashpad und E9-Hose über den Weg und auf der Stripsenjochhütte trifft man die
Nachbarin nach erfolgreicher Besteigung des Totenkirchls.
Kletterhallen erlauben es konzentriert und zielgerichtet
zu trainieren. Und auch der Hobbykletterer ist in dieser Beziehung meist
engagiert und weiß schon eine Menge über Methoden. Und dazu gehört auch das Wissen um die
Sinnigkeit von Ausgleichssport. Und trotzdem wird bei dieser Thematik ein
weiter Bogen um vermeintlich „normale“ Sportarten gemacht. Und an dieser Stelle
möchte ich mich Outen:
Ich
mag, nein, ich liebe Fußball!
Fällt etwas auf? |
Auch ich habe schon eine Menge Sportarten nebenher
betrieben. Denn bei aller Liebe zum Klettern, wird auch dieses hin und wieder
langweilig. Insbesondere wenn man nicht im Gebirge lebt und einem dem zur Folge
nur einige mittelprächtige Felswände zur Verfügung stehen, die man im Laufe der
Jahre schon zigtausendfach beklettert hat, oder alternativ der Besuch der
Kletterhalle bleibt, wo das Klettern dann und wann zur leidigen
Trainingspflichtübung verkommt sehnt man sich danach gelegentlich auf andere Art und Weise ins Schwitzen zu
kommen. Aufgrund der von der Szene stark reglementierten Auswahl an
Zweitsportarten gehen die meisten (und so auch ich lange Zeit) einfach joggen.
Das ist unverfänglich, geht schnell und kostet nicht viel. Dafür ist es bei
Zeiten auch ganz schön dröge und es fällt nicht immer leicht sich zu
motivieren. Ebenfalls legitim sind andere „Extremsportarten“. So habe ich
beispielsweise mit dem MTB fahren angefangen. Und auch hierfür habe ich schnell
Feuer gefangen. Dies hatte jedoch den Nachteil, dass man an den rar gesäten
freien Tage an denen auch das Wetter mitspielt überlegen musste, ob nun Biken
oder Klettern Vorrang hat. Und da die Liebe insbesondere zu steilen, sturzanfälligen
Abfahrten, sowie zu immer höher werden Sprüngen und Drops entfacht war, hatte
sich der Wunsch nach einer etwas weniger Moral erfordernden Tätigkeit auch
erledigt.
Auch wenn eine solche Aussage unpopulär ist. Fußball ist
der ideale Ausgleich zum Klettern. Es füllt all die Trainingslücken, die beim
Klettern offen bleiben.
Das ich beim Klettern auch bei guter Fußarbeit mehr die
Arme als die Beine beanspruche und es beim Fußball, Nomen est Omen, genau
umgekehrt ist, liegtauf der Hand. Dass jedoch eine gute Kraftausdauer benötigt
wird vereint die beiden Disziplinen wiederum. Des Weiteren ist Klettern ein
Sport, bei dem ich agiere. Der Fels ist in der Regel unbeweglich, ich plane
meine Bewegungen voraus und setze sie um. Ausgenommen das Bouldern und Speedklettern
ist der Klettersport zudem ausgesprochen langsam. Fußball ist diesbezüglich das
genaue Gegenteil. Das Spiel basiert auf Schnelligkeit und Reaktion, Fähigkeiten
also, die ich beim Klettern total vernachlässige.
Aber gerade vom organisatorischen ergänzt eine
gelegentliche Kickrunde den Trainingsalltag des Vertikalisten perfekt. Dieses
Frühjahr beispielsweise war verregnet wie selten. Der Trainingswinter in der Halle wurde länger
und länger. Und die Sehnsucht nach draußen wurde größer und größer. Während der
Regen ein Klettern in der Eifel absolut unmöglich machte, schadete er so
mancher Schlammschlacht auf dem Bolzplatz gar nicht. Ganz im Gegenteil, war der
Platz immer in perfekter weicher Kondition und das Spielen im Nieselregen
machte die Sache nur noch lustiger. Der Zeitaufwand ist im Gegensatz zum
Klettern oder Biken gering. Während man für ein bisschen Felsspaß oder eine
MTB-Tour meist eine lange Autofahrt und mehrere Stunden Aufenthalt einplanen muss, ist man nach
eineinhalb Stunden auf dem um die Ecke liegenden Bolzer total platt und hat
eine Menge Spaß gehabt.
Aber vielleicht ist es auch gut, dass es so ist, wie es
ist. Denn in Zeiten, in denen man mit seinem Klettererdasein niemanden mehr
beeindrucken kann, in denen das Emporsteigen an Felswänden weder mit Heldentum
noch mit Rebellion, geschweige denn mit der großen Freiheit assoziiert wird,
kann man sich als fußballmögender Kletterer geradezu als Querdenken fühlen. Neue
Denkweisen taten sich im Alpinismus immer schon schwer. Den siebten Grad wollte
auch keiner wahrhaben. Ich jedenfalls werde demnächst beim Klettern im
Wetterstein meine FC-Köln- Stutzen und die Fußballshorts tragen, wie einst die
68er-Jugend Che Guevara T-Shirts und mich dabei frei und rebellisch fühlen.