Nur vom Feinsten in Freyr- Klettern, Pommes und Bier
„Belgien ist grau, meistens regnet es aber es gibt
unglaublich leckere Pommes.“ So lautete einst mein vorgefertigtes Bild von
unserem kleinen Nachbarland, welches ich lediglich von der Durchreise zumeist
nach Fontainebleau kannte.
Kann auch schön sein in Belgien! |
Bis auf die leckeren Pommes musste ich meine Meinung nach
meinem ersten Besuch des Klettergebietes Freyr komplett ändern. Abgesehen von
den Felsen war nichts grau. Weder das malerische Städtchen Dinant direkt am
Maasufer gelegen noch der herrlich grüne Wald, der sich die Hänge zum Flusstal
hinunter zieht. Statt Regen gab es einen herrlich blauen Himmel, der kein
Wölkchen duldete. Stellte sich nur noch
die Frage, was denn die Kletterei zu bieten hat.
Al´Legne ein Alpinklassiker - nicht nur für Mutige |
Freiwillig war ich zugegebener-
maßen nicht hier. Ich wäre doch
viel lieber ins schöne Luxemburg gefahren. „Da weiß ich, was ich habe“ waren meine Gedanken. „Und dort
sind ja eh noch so viele Projekte zu klettern. Mehrere Seillängen klettern, das
muss nicht sein? Es geht doch um Schwierigkeitsgrade
nicht um Länge! Und die sollen doch in
Belgien eher stramm sein! Und die Absicherung eher nicht so toll.“ Tatsächlich
warnt schon der Topo von Marc Bott frei nach Asterix: „Ceasar hat gesagt, die
Belgier sind die Mutigsten!“
Ob meine Einstellung oder Belgien für das kommende Desaster
verantwortlich war weiß ich nicht, aber was dieser Klettertag dann bringen
sollte, übertraf meine schlimmsten Befürchtungen. Schon die vermeintliche Aufwärmeroute
zitterte ich auf für eine Kalkplatte unerwartet schlechten Tritten und
flutschigen Griffen empor, während ich gedanklich vom „Schwerklettern“ Abschied
nahm. Ganz im Gegenteil wollte ich den
Grad der nächsten Route noch mal nach unten korrigieren und machte mich an
einer 5c Rissschuppe zu schaffen. Beim zweiten Haken, der nicht gerade niedrig
steckte, war ich physisch und psychisch völlig erledigt, keuchte und kämpfte,
dachte bei mir „Ein Königreich für einen Keil“, schmierte weiter auf nicht
existenten Tritten herum um mir schließlich ein resignierendes „Mach zu!“
abzuringen und diesen Klettertag wieder am Boden angekommen grummelnd zu
beenden. Den restlichen Tag „genoss“ ich den grünen Wald, den blauen Himmel die
Maas und Pommes, welche mit einem tröstenden Hoegaarden-Bier runtergespült
wurden.
„Freyr, niemals wieder!“ war mein Fazit dieses desaströsen
Tages. Und folgerichtig ließ der nächste Besuch lange auf sich warten. Warum
ich diesem Gebiet eine zweite Chance einräumte weiß ich gar nicht mehr.
Wahrscheinlich, weil ich Luxemburg inzwischen doch zu oft besucht hatte und
sich die ehemaligen Projekte zu Ex-Projekten oder zu „Werd-ich-niemals-klettern-können-Projekten"
verwandelt hatten.
Mein zweiter Besuch war zwar auch ereignisreich, hinterließ
jedoch einen völlig gegenteiligen Eindruck.
In dem Wissen, dass man direkt am Gebiet biwakieren kann,
waren wir für ein ganzes Wochenende angereist. Samstags früh los zu fahren, so
war der Plan, der trotz eines langen Kneipenabends in die Tat umgesetzt wurde.
Mit der Konsequenz jedoch, dass auf dem Freyrer Parkplatz angekommen erst
einmal der Müdigkeit nachgegeben werden musste. Erst gegen Nachmittag war diese
endgültig überwunden. Das Fazit ziehend, dass vor Klettertrips entweder weniger
gefeiert oder länger geschlafen werden müsste, machten wir uns endlich auf den
Weg den angenehmen Zustieg talwärts auf uns zu nehmen.
Wie Rippen ziehen sich die einzelnen Sektoren vom
Hochplateau zum
Maasufer hinunter. Dabei erreichen sie Wandlängen bis 100 Meter. Der „Tête de Lion“ ragt sogar in den Fluss hinein.
Auf einem schmalen betonierten Steg kann man auch diesen Felsen passieren. An
heißen Klettertagen ist es eine Wonne zwischendurch Gurtzeug durch eine
Badehose zu ersetzen und ein erfrischendes Bad in der Maas zu nehmen.
Moderat in den alpinen Klassikern... |
Wir statteten dem Sektor Jeunesse einen Besuch ab. Viele
Routen vom 4. bis zum 7. französischen Grad warten hier auf Wiederholer. Der
Fels ist stark strukturiert und löchrig. Die Routen sind zumeist leicht geneigt
bis leicht überhängend. Kleingriffige und technisch anspruchsvolle Sequenzen
bilden die Schwierigkeiten. Lediglich die Routen „Welcome to the machine“ 7a
und „Hercule Poivrot“ 7a+ ziehen athletisch durch einen Überhängenden Wandteil.
Das Klettern klappte hervorragend. Die Routen gefielen uns
ausgesprochen gut. Die vielen bis zu 30 Meter langen Routen zwischen 6a und 6c
sind traumhafte Linien und werden ihren Graden gerecht. So zum Beispiel „Les
negresses verts“ 6a, welche die Kruxpassage auf den ersten 8 Metern bereithält,
aber anschließend kontinuierliches Dranbleiben in gutgriffigem aber
überhängendem Fels verlangt.
Glücklicherweise klärt sich auch der Hakenmythos. Die
Absicherung der Routen empfinden wir immer als vernünftig, sehr selten als
schlecht aber auch nie als übertrieben. Man kann sagen, dass man dem Grad
gewachsen sein sollte. Bei alten Routen, wie beispielsweise „La Grunne“ aus den
30ern kann das Legen eines mobiles Sicherungsgerätes schon mal ein allzu
alpines Gefühl verhindern.
Alles korrekt? |
Der zweite Teil des Nachmittages führt uns zum Sektor „Le
Pape“. Hier so wie auch an seinem benachbartem Massiv Al`Legne befinden sich
sowohl schwerste Sportkletterouten bis 8c, sowie auch klassische und moderne
Mehrseillängen.
Zwischen „Samarkande“6c und „Les pavés du nord“6c klettern wir
diverse Routen die zunehmende
Erschöpfung ignorierend hintereinander weg. Die meisten befinden sich in den
Graden 6a und 6b. Tolle Bewegungen verlangt der Fels einem ab um die technisch
anspruchsvollen und kräftigen Schlüsselpassagen zu überwinden. Als die Arme gar
nichts mehr ziehen mochten, die Finger keinen Griff mehr festhalten konnten und
die Füße nur bei dem Gedanken an das enge Schuhwerk schmerzten hieß es als
letzte sportliche Leistung des Tages die hundert Höhenmeter nun zu Fuß zu überwinden. Hierbei vergisst man gerne mal
die schönen vergangenen Stunden beginnt über die Steilheit des Weges, das
Gewicht des Rucksacks und natürlich über die schmerzenden Füße zu fluchen. Ist
diese Hürde jedoch geschafft warten im „Chamonix“ direkt am Parkplatz eben die
leckeren belgischen Pommes Frites, mit einer Riesenauswahl an Saucen und einer
noch größeren an belgischen Bierspezialitäten, ebenso wie typische Desserts wie
den bekannten „Gauffres“ (Waffeln).
Hier kann man sich wirklich für tolle Kletterleistungen
belohnen oder für einen schlechten Klettertag entschädigen. Einen Grund findet
man auf jeden Fall seinen Abend im „Chamonix“ zu verbringen um anschließend
sein Zelt auf der Biwakwiese
aufzuschlagen. Für die Nutzung der Wiese, sowie der sanitären Einrichtungen des
„Hotel Merinos“, so wie die Hütte des belgischen Alpenvereins sich nennt,
entrichtet man bei Jean Bourgoise, der als eine Art Hütten- und Gebietswart
fungiert einen Obolus von zwei Euro pro Übernachtung. Vorraussetzung für das Klettern
sowie für die Nutzung der Biwakwiese ist die Mitgliedschaft in einem
Alpenverein.
Die Kruxseillänge der Al´Legne |
Am Sonntag beschlossen wir ob der vorhandenen Möglichkeiten
und trotz der nicht vorhandenen Vorbereitung eine Route die im Topo mit vier
Seillängen und dem Grad 6a angegeben war zu klettern. „La Diretissima“ lautete
ihr Name welcher uns direkt in alpinste Stimmung versetzte. Nur mit Kletterkram
und einem kleinen Rucksack bewaffnet stiegen wir parallel zum Sektor Al´Legne
zum Maasufer hinunter. Am Einstieg angelangt warteten schon drei Seilschaften
auf ihre Gelegenheit die gleichnamige Route einzusteigen, welche sich in 6
Seillängen um den Bug des Felsens schlängelt. Im Jahre 1933 wurde „Al´Legne“
von Graf Xavier de Grunne mit Hilfe von 8 Kompagnons darunter König Albert und
Prinz Leopold als erste Kletterroute auf dieses Massiv eröffnet. Nur zwei Jahre
später wurde „La Diretissima“ mit selbst hergestellten Haken und um den Bauch
gebundenen Hanfseilen in dicken Stiefeln geklettert. Mit Freikletterstellen von
5c und 6a kann diese von enormer Kühnheit zeugende Tat in dieser Epoche als
alpinistisches Meisterstück betrachtet werden.
Ob des Staus am Einstieg lautete die Devise erst einmal Zeit
totschlagen. Der Untätigkeit fiel auch der Großteil unseres kleinen
Getränkevorrats zum Opfer.
Als eine gute Stunde später auch wir uns zu rüsteten begannen
schauten uns die letzten belgischen Seilschaften fragend an. „Keine Helme, keine
Keile?“ stand in ihren Gesichtern zu lesen. „Waren wir nicht drauf
vorbereitet!“ war wahrscheinlich nicht in unseren Gesichtern zu lesen. Trotzdem
hielten wir das Risiko für tragbar.
Kalimero und Kalimera |
Wir stiegen ein. Da der erste Stand schon nach 10 Metern
auftauchte und mit 8 Kletterern mehr als überfüllt wirkte, beschloss ich direkt
zum zweiten zu klettern, den ich auf einem Absatz ca. 15 Meter über mir
vermutete. Leider war hier kein eingerichteter Standplatz zu entdecken, also
ging die Reise weiter. Die mitgenommenen Expressschlingen wurden weniger, die
ausgegebenen Seilmeter hingegen mehr. Als ich einen Standplatz entdeckte war
ich bereits dabei, durch konsequentes auf und ab klettern das jeweils vorletzte
Päarchen zu bergen um es als nächstes zu verbauen. Dies schien die
beobachtenden Belgier in ihrer Einschätzung unserer Seilschaft mehr als zu
bestätigen. Endlich am Stand angekommen holte ich Isabelle nach. Ebenfalls am
Stand angekommen vertraute sie mir an, dass ihr inzwischen nicht mehr ganz so
wohl bei der Sache war. „Lass uns umkehren.“ War ihre Bitte. „Okay“ sagte ich,
„hast Du einen Achter dabei?“ Ihre Verneinung und die daraus entstehende
Konsequenz, dass nur ein Weg aus der Tour führt, nämlich nach oben, bestätigte
nun auch uns, dass die Belgier nicht ganz falsch lagen mit ihrer Einschätzung.
Ein kühles Bad wäre auch nett gewesen! |
Die Lage entspannte sich zunehmend und wir genossen die
Kletterei hoch über der Maas mit Blick auf des Schloss Freyr und das gute
Wetter.
Kurz vor dem Ausstieg der Route fand ich mich vor einer
überhängenden Verschneidung wieder, aus der ich auf das Gipfelplateau manteln
sollte. Die letzte Sicherung befand sich gefühlte 5 Meter unter mir. Diese
Situation holte mich wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. Realisierend,
dass die Kommunikation zum unteren Stand schwer eingeschränkt war, malte ich
vor meinem inneren Auge eine aufs äußerste konzentrierte Sicherungspartnerin aus
und schwang mich nicht schön aber effektiv auf den Gipfel, hakte mich in den
großen Standring und atmete tief durch.
Mist - Schuhe am Einstieg vergessen! |
Nahezu zeitgleich tauchte der erste Belgier aus der Al´Legne
neben mir auf und fragte mich mit großen Augen „Trés difficile?“(TD die
klassische Bewertung der Route) „Äh, oui!“ Zu mehr Konversation war ich gerade
kaum im Stande, freute mich aber innerlich über die offensichtliche
Anerkennung.
Inzwischen kann ich meine Freyrbesuche kaum mehr zählen.
Wenn Belgien nicht grau und verregnet vorhergesagt ist, und ich zwei Tage übrig
habe, nehme ich die zweieinhalb Stunden Fahrt sehr gerne auf mich, um an der
Maas Sportklettern, einen Hauch von alpinem Klettern, Zelten, Pommes frites und
Hoegaarden zu genießen. Die Vielfältigkeit, gepaart mit der Entspanntheit die
es dort zu erleben gibt macht es zu einem wichtigen Klettergebiet für Kletterer
aus dem Rheinland.
Einkehr: Das beschriebene "Chamonix" ist nun
eine wild bewachsene Wiese. Für
Ersatz sorgt die Friture "La Cobeli"
Topo: Freyr - Marc Bott und Ruben Beckers
Auflage 2014
Erhältlich in "La Cobeli"