Freitag, 18. Juli 2014

Kletterliteratur






Hard Stuff

  Bum ……… Bum ………Bum ………, das Herz klopft langsam aber kräftig. Ein Keil steckt im Riss an der Dachkante. Die gechalkten Fingerkuppen schieben sich ebenfalls in den schmalen Spalt. Der Fuß wird auf Gegendruck über den kleinen Vorsprung gestellt. Die Finger der linken Hand tasten nach einer flachen Dulle. Einmal Schwung holen, und noch einmal. „Uah!“ Und hochfeuern, den schmalen Spalt einen Meter weiter oben getroffen. Schnell wieder stabilisieren. 


Bum … Bum … Bum …, die Pulsfrequenz hat sich verdoppelt. Einige wacklige Meter in der Rissverschneidung hoch. Nie mehr als den ersten Zentimeter der Finger im Riss. Ein weiter Zug mit der rechten Hand auf einen schlechten Sloper, der Keil zwei Meter unter den Füßen. Rüberschieben in die Verschneidung. Nur die Reibung des Felsens hält die Kletterschuhe dort, wo sie sind.


Bum, Bum, Bum, der Puls ist bis in den Hals zu spüren. Ohne Griffe und ohne Tritte in der Verschneidung hochschieben, bis die rechte Hand ein abschüssiges Band ertastet. Der Keil entfernt sich inzwischen auf 4 Meter. Noch mal chalken, denn jetzt wird es richtig wackelig.


Bubum, Bubum, Bubum, fünf Meter über dem Keil. Jetzt irgendwie die Füße nachholen. Doch sie finden keinen Halt, sie suchen auf der Wand nach Halt, sie rutschen. „Aaaahhhhhh!“  Abflug. Einen Meter über dem Boden der harte Anprall an die Felskante. Rotieren … schlechter Techno ... schwarzer Bildschirm ...:  

Hard Grit


Kein Kletterer meiner Generation der diese Filmsequenz nicht kennt. Jean Min-Trin-Thieu der dem chipskauenden und biertrinkenden Zuschauer direkt im Vorspann des Kultfilms klarmacht, wie es auf der Insel zur Sache geht. Über sein aufgeplatztes Schienbein kann so ein Mordskerl nur müde lächeln. Aber ein klein wenig zittrig wirkt er schon … Seb Grieve lässt im Folgenden noch wissen, dass  er vor dem Durchstiegsversuch von "Pathian shot" „pretty bad, as usual“ geschlafen hat. Also, es scheint genügend Gründe zu geben, nicht nach England zum Klettern zu reisen.



In der Vorabrecherche zu unserer Männertour in den Peak schrieb ich um Infos bittend den BMC-Verlag an. Und schon am nächsten Tag trudelte in meinem virtuellen Briefkasten eine Mail aus England ein.

„Oh Gott! Weißt du, wer mir geschrieben hat?“

„Na, wer denn?“

„Der Grimer!“

„Wer?“

„Na Grimie …!“

„…?“

„Niall Grimes!“

„…?“


Ja, tatsächlich nahm sich Niall Grimes höchst persönlich meiner Fragen an. Mein Held der britischen Kletterliteratur, quasi der Peter Brunnert der Insel, Chronist des Peak Districts und natürlich der lebendige Leitfaden durch „Hard Grit“. Und nur wenige Tage drauf schon steckt in meinem ganz irdischen Briefkasten ein Päckchen mit zwei Büchern, ebenfalls britischerAbsendung:

"Stanage - The definitive Guide" und "Boulder Britain - The essential guide to British bouldering". Durchaus selstbewusst kommen schon die Titel der beiden Werke daher, welche unüberlesbar federführend durch Niall Grimes entstanden. 

"Stanage - The definitive Guide" beschreibt - Nomen est Omen - alle Routen wie auch alle Boulderprobleme von Stanage Edge. Übliche Lobhudeleien wie etwa: "Gutes Kartenmaterial, 1.300 Routen und 400 Boulder auf 200 Farbfoto-Topos, 140 stimmungsvolle Kletterfotografien und 5 Boulderparcours in bleauesker Tradition" erspare ich mir an dieser Stelle und komme direkt zur eigentlichen Stärke dieses Buches, das nun schon Wochen vor Reisebeginn zu meiner Bibel geworden ist.

Kein Tag vergeht, an dem ich nicht in diesen 350 Seiten blättere, auf diese und jene kleine Geschichte zu dieser und jener Route stoße. Immer gespickt mit einer kleinen oder aber auch großen Portion britischen Humors lesen sich selbst die Beschreibungen der Routen bzw. Boulder wie kleine Satiren. Die Bedienungsanleitung für "Big Air" (E6 6b) beispielsweise liest sich folgendermaßen: Remove brain, leap across the chasm to the pocket, replace brain (crux) and solve the tricky rock-over for the Top." Der historische Klassiker "The vice" lädt mit folgendem Text zur Ersteigung ein: "A ferocious climb that will eat you up and spit you out for breakfast if you´re not up to it."



Der historische Abriss des Gebietes ist es ebenfalls lesenswert. Daneben existieren noch viele Zeitzeugentexte aus den verschiedenen Epochen des Gebietes, so zum Beispiel "Loving on the Edge", ein Text von Ed Drummond, "Conquering the unconquerables" oder "The Plantation - A Bouldering History" von Adam Long, einer der Erschließer eines der berühmtesten Bouldergebiete der Welt - nicht erst seit dem Film "One summer".

Ein weiterer sehr unterhaltsamer Gimmick sind die "My favorite fives", in denen unzählige bekannte und unbekanntere Locals ihre liebsten Routen nennen. Manch einer listet lediglich Routennamen, andere hingegen legen in epischer Breite die Gründe für die Auswahl dar und erzähler Erinnerungen und Anektoten. Seb Grieve z. B. schreibt über eine der ganz klassichen Kantenklettereien: "Archangle, E3 It is not just the same move all the way, it is just 76 similar layback handmovements and 83 similar foot smears ... By the way, I believe that you picked up a set of keys at the party on sat night? They were mine, Seb."


Lange Rede, kurzer Sinn: "Stanage - The definitive Guide" ist kein normaler Kletterführer, eher ein Stück Kletterliteratur, und jetzt schon, vor Reiseantritt, zerlesener als jedes einzelne Exemplar meiner Gesamtausgabe: "Thomas Mann - Gesammelte Werke in 13 Bänden".


"Boulder Britain- The essential guide to British bouldering", was gibt es zu diesem Kletterführer zu berichten? "Boulder Britain" ist ein nett aufbereiteter Boulderführer, mit schönen Kletterfotos und aufschlußreichen Topos. Aber lassen wir den Autor sprechen: "3.200 problems of all grades - 180 venues from the most popular to the most obscure - The most exciting fotos from the best photographers - ..."  

Auch wenn nicht alle Gebiete über eine lokale Bedeutung hinauszugehen scheinen, so ist dieser Auswahlführer doch sehr inspirierend und macht Lust auf einen reinen Bouldertrip über die Insel. Und auch hier nennt Niall Grimes die Dinge very british beim Namen. So umschreibt er Jerry Moffats "the place to be" (beschrieben in seiner Biografie "Rockgod") "Parisella's Cave folgendermaßen: "All hail the polished, slippery, dank, ugly, dusty, goat-shitted, wee-smelling Mecca of power-stanima". Das klingt nett und lädt zum verweilen ein. Ebenso wie die Beschreibung von "Pednvounder": "A beautiful south-facing nudist beach at the very bell-end of Cornwell ... The thought of doing fun granite problems as the summer sun warms your back and with a fresh salty breeze blowing gently around your balls. Magic!"

Auch wer nicht vor hat in Großbritanien zu bouldern wird bei der Lektüre dieses knapp 500 Seiten umfassenden Kletterführers unterhalten und zu dem ein oder anderen Schmunzler gezwungen!


Stanage - The definitive Guide
Herausgeber: BMC
Verlag: BMC (BMC- Shop)
 
Boulder Britain - The essential guide to British bouldering
Autor: Niall Grimes
Verlag: Ape Index Boulder Britain

Rockgod: Das Leben einer Kletterlegende 
Autor: Jerry Moffat - Niall Grimes