200- Drüber und drunter
Nach einem
herrlichen Klettertag fuhren meine damalige Freundin und ich zu unserem für die
Nacht erwählten Schlafplatz. Wir freuten uns auf ein Bier auf diesem weit über
den Dächern von Arco gelegenen Parkplatz, von dem man den ganzen Abend auf die
gigantischen Überhänge des Monte Brento blicken kann.
Gedanklich
ging ich nochmals die Züge durch und stellte mir vor wie meisterlich ich sie
performed habe. Und wie heroisch ich gekämpft habe, unter der Anfeuerung aller
anderen Kletterer den schweren Kreuzzug in den Untergriff und dynamisch an den
guten Griff gedeadpointet, so dass der ganze Körper spektakulär raus
geschwungen ist. Und zu guter Letzt noch nervenstark die 2 Meter Run-out zum
Umlenker durchgezogen. Nicht nur körperlich, auch mental war ich in Höchstform.
Und das Resultat war die erste 7a. Wahnsinn, wie sich das anfühlt, wenn
plötzlich die französische 7 davorsteht.
„Wo seids
ihr denn g´wesen?“ fragte einer der beiden Münchner, die beide einen wohl
trainierten und szenisch etablierten Eindruck machten. Bei denen sind
Ausführungen über den eigenen Erfolg sicherlich mit bedacht zu verbalisieren.
Die Dresdner hingegegen wirkten eher mäßig sportlich und machten insgesamt einen
etwas nerdigen Eindruck. „Äm Cölödri,“ sächselte der eine, der sich als ,Vidö`
vorgestellt hatte. „Die ,Renädä Rössi´“ ergänzte sein Kumpel ,Ägge`.
„Mir hams
heit den ,White Crack`g´ledderd. Und woas habt´s ihr g´macht?“erging nun die
Frage an uns. Zu größeren Ausführungen bereit warf ich erst einmal ein betont
lässiges „Massone“ in die Runde in dem guten Glauben, dass die Erwähnung dieses
Hardmover-Paradieses ihre Wirkung nicht verfehlen würde. Tat es auch nicht.
Lediglich war die Wirkung eine unerwartete. „Im Gleddergörden?“ fragte Vito
ungläubig. „In einem, äh, in dem
Sportklettergebiet hier!“ versuchte ich nochmals meiner Heldengeschichte eine
Basis zu schaffen. Doch erfolglos. „Älso ünter 200 Meter ist es döch nicht
wirklich Gleddern, öder? Vielleischt Draining. Äber däfür müss isch döch nicht
näch Ärco.“ Vito und Acke ließen keinen Zweifel daran, dass sie unsere
Disziplin nicht wirklich ernst nehmen konnten.
Eingeschüchtert
und Ehrfürchtig blieben wir den restlichen Abend ruhig und lauschten den
Geschichten von den großen Wänden des Sarcatals. Wir erfuhren, dass die
Münchner auch in langen Routen jenseits des 7. Franzosengrades unterwegs waren,
während Vito und Acke keinen Hehl daraus machten, dass sie nie schwerer als 6b
gingen, jedoch schlechteste Absicherung nicht nur tolerierten, sondern als
elementaren Spaßfaktor beim Klettern betrachteten. Diesen Fakt erklärte ich mir
mit der Tatsache, dass die beiden im Elbsandstein das Handwerkszeug erlernt
hatten.
Später im
Bus sagte ich zu meiner Freundin: „Fahren wir morgen zur Parete Zebratta?“ Es
war keine Frage, sondern vielmehr eine Feststellung. Die Sonnenplatten, wie sie
auch heißen, sind uns im Topo schon
aufgefallen. Sie bieten alpine Sportklettereien in allen Schwierigkeitsgraden
und Längen. Das wir neben der Sportkletterausrüstung gerade mal über 5 Keile
und einem rein theoretischen Wissensschatz über Standplatzbau, Nachsichern und
so weiter verfügten ignorierten wir. Der Plan für den kommenden Tag war
beschlossen.
Am nächsten
Morgen standen wir am Parkplatz der Parete. Das wir über die „Alpinen“ bislang
immer schmunzeln mussten, weil sie immer schon am Parkplatz komplett behangen
waren, hielt uns nicht davon ab genau diese Idee aufzugreifen um die großen
Kletterrucksäcke nicht den ganzen Tag am Wandfuß liegen lassen zu müssen. Wir
hängten uns alles planlos an, was man evt. bei einer langen Wand benötigen
könnte. Damit die Demarkationslinie von 200 Höhenmetern geknackt werden würde
haben wir uns eine 7 Seillängen Route rausgesucht. Keine Länge war schwerer als
5c. ,Da kann man ja hoch tanzen, schließlich habe ich das Land des 7.
Franzosengrades betreten.` Mit diesen Gedanken stieg ich ein.
,Wo ist
denn nur der verfluchte Haken?´ Ich scannte die Wand mehrfach auf der Suche
nach dem zweiten Haken. Als ich ihn schließlich erspähte, war ich zutiefst
erschüttert ihn gut 4 Meter über mir auszumachen. ,Wird schon nicht so schwer
sein.´ Zitternd, verkrampft und weit entfernt von der Ästhetik eines 7.-
Franzosengrad- Kletterers wackelte ich mich zum zweiten Haken. Mit dem Klicken
der Exe wich kurzzeitig die Spannung. Ich war schweißgebadet und mental bereits
schwer angeschlagen. Und das schon nach 8 von 260 Metern. Den dritten Haken
mühte ich mich gar nicht erst zu suchen, sondern beschloss ob des leichter
werdenden Terrains erst einmal etwas höher zu klettern. ,Er wird mir schon
begegnen.´ Doch auch dies stellte sich als Fehler heraus. Als ich ihn fand war
er bereits 2 Meter rechts und zwei Meter unter mir. Von der eigentlichen Linie
trennte mich nun eine grifflose und spiegelglatte Platte, die ich nun zurück
queren musste. Mit Sicherheit hatten selbst die Badegäste am Gardasee etwas von
meinem blumigen und vielfältigen Fluchen, was aus psychologischer Sicht jedoch
den einzig richtigen Umgang mit der erlebten Angst darstellte. Die restliche
Seillänge ließ sich ohne größere Zwischenfälle bewältigen. Erst am Stand
angekommen wartete eine neuerliche Überraschung auf mich Alpinnovizen. War die Route
doch bislang mit wenigen aber verlässlich wirkenden Haken ausgestattet,
erblickte ich hier zwei geschlagene Rostgurken, die meines Erachtens in einem
Alpinmuseum wesentlich besser aufgehoben wären als an einem Standplatz.
Immerhin wusste ich zumindest von der Existenz eines Kräftedreiecks und verband
die Haken einigermaßen sinnvoll miteinander. Die schlechte Neuigkeit für mich
behaltend rief ich meiner Freundin lediglich „Kannst nachkommen“ zu. ,Bitte
nicht fallen, bitte nicht fallen` betet ich mein Mantra hinunter während ich
sie nachsicherte. Auch die Begeisterung meiner Freundin über den vorgefundenen
Stand hielt sich sehr in Grenzen. Noch kritischer wurde sie, als sie merkte,
dass ich mich mit der glatten Plattenstelle vom Stand doch sehr schwer tat. Das
die Aufforderung: „Vorsicht jetzt, aufpassen, ist wackelig!“ mit „Ja, ich hab
Dich, alles okay!“ beantwortet lediglich Worthülsen von psychologischem Nutzen
war, wussten wir beide. Als die Platte ca. 4 Meter über dem Stand auf einem
Balkon endete fand ich dort zu meiner Überraschung den echten Stand bestehen
aus zwei soliden Haken. Kurz nur war die Überlegung weiter zum nächsten Stand
zu klettern und wurde dann trotz des Zeitverlustes aber zu Gunsten eines neuen
Sicherheitsgefühls verworfen.
Der weitere
Weg war geprägt von Angst einflössenden Run-Outs an denen meine 5 Keile auch
nicht viel ändern konnten, von enormen Problemen den Weg zu finden und durch
Kommunikationsprobleme, die durch Wind und diverse andere Seilschaften noch
verstärkt wurden. Das die Sonnenplatten ihren Namen zu recht tragen und sie
sich bei sommerlichen Italientemperaturen in einen Glutofen verwandeln muss
nicht extra erwähnt werden.
Bemerkenswert
auf dem Weg zum Ausstieg war lediglich noch die Situation, wie sie, so dachte
ich, lediglich im Klettercomic zu finden sei.
„Jetzt
wird’s schwierig“ rufe ich gegen den Wind und das Geschrei aus den
Nachbartouren an. „Du hast Stand?“ höre ich leise, aber doch erkennbar in der
Stimmlage meiner Freundin!“ Ein panikartiges Gefühl lässt mich „Nein kein
Stand, Schwieieierig!“ zurückkreischen. „Stand?“ wird die Frage nochmals
wiederholt. „Nein!“ „Was?“ Ich antworte nicht und beschließe weiter zu klettern
und Hoffe darauf noch gesichert zu sein.
Nie werde
ich vergessen, wie wir beide von Glücksgefühlen überwältigt am Ausstieg
standen. Ob es die Freude darüber war überlebt zu haben, die Erleichterung,
dass es nun vorbei war oder die Genugtuung dieses Abenteuer gemeistert zu haben
wussten wir beide nicht. Was wir aber wussten, war, dass bislang keine 7a oder
sonst irgendeine Tour es vermocht hatte eine so nachhaltige Zufriedenheit zu
bewirken.
Nach dem
Abstieg sitzen wir in der ,Bar Parete Zebratta` und trinken die schalste aber
leckerste Cola unseres Lebens. Der Blick ist auf die Sonnenplatten gebannt und
das Lächeln will nicht aus unseren Gesichtern verschwinden. Noch am gleichen
Abend werden Pläne für eine erneute alpine Unternehmung geschmiedet.
Dies ist
nun schon ca. 10 Jahre her. Und obwohl ich nach wie vor gerne boulder, sowie
auch in den Klettergarten gehe, hat das alpine Klettern doch immer mehr an
Bedeutung gewonnen.
Wie damals
ist es das schlechte Wetter, diesmal im wilden Kaiser, was Heni und mich nach
Arco ausweichen lässt. Diesmal zum Klettern jenseits der 200 Höhenmetergrenze.
Veraltetes Topomaterial veranlasst uns die Österreicher die mit ihrem Bulli auf
dem selben schönen Parkplatz mit Blick auf den Monte Brento übernachten
anzusprechen und nach einem aktuellern Führer zu fragen. Man kommt ins Gespräch
und sitzt schon bald bei einem Bier zusammen. „Mir woan heit in Massone. Do
hat´s tolle Routen von 6a bis ganz schwoa. Toller Klettertag.“ Erzählt der
Österreicher.
Ich beiße
mir kurz auf die Zunge. „Massone, kenn ich. Das ist wirklich ein superschönes
Gebiet...“ entgegne ich und lächel.
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