Dolomitfreuden in Gerolstein
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Eifler Gebietsindex
Das allgemeine Klettertreiben in den Eifler Gebieten folgt glücklicherweise leicht zu interpretierenden Trends. Vergleichen wir einmal die handvoll Möglichkeiten in der Eifel zu Klettern mit Aktien. Befindet sich die Trendkurve des einen Gebietes auf steilem Kurs nach oben, ist eine unaufhaltsame Talfahrt einiger Anderer vorprogrammiert. Einige Traditionsgebiete werden dann von „Langzeitanlegern“ frequentiert. „Do simmer immer schon jeklettert“ lautet das Motto einiger Dinosaurier der Szene. Die Trendbewegungen vollziehen sich in der Regel sehr langsam, meist über Jahre. Ebbt der Zustrom in einem bestimmten Gebiet erst einmal ab, kann auf einen erneuten Boom sehr lange gewartet werden.
Felssozialisation
extrem
Diese Durchschaubarkeit kann sich jeder Kletterer seinen
Vorlieben entsprechend zu Nutze machen. So kann nun derjenige, dem
„Socializing“ oder „Sehen und gesehen werden“ wie es einst hieß, am Herzen
liegt, sich Wochenende für Wochenende in den angesagten Szenegebieten
verlustieren und den bekannten Gesichtern aus der Halle demonstrieren, dass man
auch „Outdoor“ ist. Dieses Freizeitvergnügen setzt allerdings eine gewisse
Stressresistenz voraus und avanciert somit zur besonderen Ausprägung einer
Extremsportart.
Die prüfenden Blicke der Wohlgesonnenheit vorgaukelnden
Kontrahenten im Rücken wissend wird der Onsight gleich erheblich schwerer, wenn
er nicht eh durch spontane „Du musst in den Untergriff kreuzen!“- Zurufe zu
Nichte gemacht wurde. Hat man es doch mal geschafft in einem Anflug von
Kletterflow-Erlebnis die Welt um sich herum zu vergessen, wird man meist jäh
durch ein „Come on Toni, geht schoa!“ oder „Schiggeding“ (je nach Angesagtheit
der aktuellen Klettermovies) ins Hier und Jetzt zurück geholt.
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Das Projektieren von Routen gestaltet sich noch
beschwerlicher. Denn abgesehen von Wartezeiten zwischen den einzelnen
Versuchen, welche die Muskulatur auch bei 30°C im Schatten wieder erkalten
lässt, wird man von Mitstreitern regelrecht auf Linie gebracht. Man hat noch
nicht begonnen die Krux auszubouldern, da wird einem schon die einzig
kletterbare Lösung nahe gebracht, so dass auch kein Zweifel bleibt, dass ein
Probieren von möglichen Alternativen nicht nur als unhöflich sondern geradezu
dreist empfunden würde. Immerhin dient das eigene Scheitern an der
aufgezwungenen Zugabfolge dem guten Zweck das Ego des Ansagers ein wenig zu stabilisieren
und aufzupolieren.
Apropos scheitern: Was das Szenegebiet noch als extrem
auszeichnet ist die Tatsache, dass man sich nicht nur mit dem eigenen Erfolg
oder Scheitern auseinander setzen muss. Man darf stets am emotionalen Zustand
der anderen Vertikalsportler Teil haben. Geteiltes Leid ist halbes Leid und
geteiltes Glück ist doppeltes Glück, so scheint das Motto zu sein. So ist es
dann auch Usus alle Anwesenden mit regelmäßigem und lautstarkem Statusreport
auf dem Laufenden zu halten. Ein lautes „Fuck!“ unterstreicht ausdruckstark die
Verärgerung oder Verwunderung über das Scheitern in der Route, die man doch
eigentlich locker beherrschen würde. Anschließend kann es nützlich sein einen
detaillierten Bericht über die schlechten Bedingungen bis in den letzten Winkel
des Gebietes dringen zu lassen. Ein lautstarkes „Yes!“ hingegen hebt den
eigenen Erfolg in einem langen Projekt heraus und sorgt für ausreichend
Anerkennung und Gratulation.
Solche Rituale in vollen angesagten Gebieten gäbe es noch zu
Hauf zu schildern. Und auch ich kann mich nicht frei davon sprechen diese mit
zu zelebrieren.
Die Kunst des
antizyklischen Kletterns
Gerade dies ist der Grund, warum ich wieder mehr die
Abgeschiedenheit und Ruhe am Felsen suche. „Antizyklische Gebietswahl“ nenne
ich den Schlüssel zum Erfolg bei der Suche nach einsamen und ruhigen Tagen
am Fels, wo die Natur noch als eben
solche wahrgenommen werden kann, weil es nicht zu geht wie am Swimming-Pool vom
Hotel „Gran Paradiso“. So wie einige Gebiete der Eifel im Fokus der
Klettermassen stehen, haben andere an Popularität verloren. Hierzu gehören
derzeit auch die Gerolsteiner Dolomiten. Findet man unter der Woche Zeit dort
zu klettern, werden einige wenige Wanderer, die erstaunt und beeindruckt kurz
verweilen, die einzigen Menschen sein, die einem am Wandfuß begegnen.
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An Wochenenden muss man sich den Felsriegel schon mit
einigen weiteren Seilschaften teilen. Es herrscht in der Regel eine lockere
Atmosphäre. Nette Gespräche entstehen. Unabhängig von Schwierigkeit und
disziplinärer Ausrichtung versteht man sich. Die einen kommen um
Sportkletterrouten bis zum unteren
10.Schwierigkeitsgrad zu klettern, während andere in alpinem Ambiente für
ebensolche Unternehmungen Erfahrungen sammeln wollen.
Meint man nun, dass die Felsen von Gerolstein weniger zu
bieten haben als ihre angesagten Konkurrenten, so liegt man meines Erachtens
gänzlich falsch. Für mich ist die Hustley, so der Name des Massivs, ein zwar nicht
sehr großes Gebiet, welches jedoch kaum Wünsche offen lässt. Hat man in der
Touristeninformation Gerolstein oder an Wochenenden im Eiscafé „Dolomiti“ erst
einmal sein Kletterticket für fünf Euro erworben, trennen einen nunmehr
lediglich 10 Minuten Zustieg von den ersten Touren.
Hoch über Gerolstein in eifler Idyll liegt der Felsriegel
mit provencialischem Flair. Die südseitige Exposition und die Wärme reflektierende
Eigenschaft des Fels macht Klettern an sonnigen Tagen beinahe ganzjährig
möglich. Es sind eher die Sommermonate an denen Klettern ob der geringen Fluchtmöglichkeiten
vor der Hitze dem Besucher etwas Anpassungsfähigkeit abverlangt. Ab frühem
Nachmittag kann man dann dem wandernden Schatten nach klettern.
Bis zu 30m lange Routen vom
2.-10. Schwierigkeitsgrad bieten sowohl dem Freund solide mit Bohrhaken
abgesicherter Routen als auch Anhängern „preußischen Gedankenguts“ á la:
„Bergtouren, die man unternimmt, soll man nicht gewachsen, sondern überlegen
sein.“ Hier kann dann auch gerne einmal
der ein oder andere Keil oder Friend zum Einsatz kommen, wenn man dem alten,
wackeligen Normalhaken noch nicht einmal mehr einen psychologischen Nutzen
zuschreiben mag.
Eine besondere
Freundschaft
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Die Kletterei findet vorwiegend an leicht geneigtem bis
leicht überhängendem Dolomitgestein statt. Leisten und Löcher dominieren das
bei Zeiten etwas versteckte Griffangebot. Leichtere Routen zeichnen sich oft
durch dolomittypisch starke Strukturierung aus, wodurch auch senkrechtes
Gelände mit gangbaren Vierern und Fünfern aufwartet. So zum Beispiel zieht sich
der „Sonntagsweg“ (5) immer den
offensichtlichsten Strukturen folgend
25 Meter durchs Gemäuer und ist
mit dem Begriff Felsfahrt sicherlich am treffendsten beschrieben.
Insbesondere in den oberen Graden formen sich häufig
Untergriffe, Leisten und Fingerlöcher zu Kruxen, die so durchdacht erscheinen,
dass man gar nicht glauben mag, dass die Natur sie so für uns gefertigt hat.
Hierfür ein gutes Beispiel ist die „Freundschaft“(9), der Extremklassiker in
Gerolstein. Eine schönere Linie in dem Grad kenne ich in der Eifel nicht. Breiter
gefächert können die Fähigkeiten nicht sein, die potenzielle Aspiranten für
diese Route im Gepäck haben müssen. Nach leichtem Gekraxel auf einen 5 Meter
hohen Vorbau folgt man bei leicht überhängendem Gelände einer Henkelreihe
senkrecht empor. Eine Querung an Fingerlöchern und Leisten auf, wie immer in
Gerolstein, mäßig schlechten Tritten bringt einen zur ersten Krux. Die Statiker
werden sich nun gezwungen sehen eine schlechte Leiste bis zum Bauchnabel zu
fixieren. Die Meisten entscheiden sich jedoch für einen beherzten Dynamo an
einen guten Aufleger. Alsbald folgen ein anderthalb Meter ausladendes Dach, an
welchem der Hinweis „Bitte nicht hinauslehnen“ in Form eines der DB entwendeten
und in einen kleinen Riß genagelten Schildchens vor die Wahl stellt sich ins
Seil zu setzen oder die „Warnung“ augenzwinkernd zu ignorieren und die darauf
folgende eigentliche Krux anzugehen. Nicht zuviel sei verraten, denn ein
bisschen will ja noch selbst herausgefunden werden, aber wer diese Stelle
bezwungen hat, sollte die Arme vor dem vermeintlich leichteren Gelände noch mal
gut ausschütteln. Schon allzu viele Aspiranten wurden auf den letzten Metern
noch um ihren Durchstieg gebracht und von der Freundschaft jäh abgeschüttelt.
Ausdauer, Fingerkraft und Präzision kann man nicht genügend
mitbringen um einen Versuch in dieser Tour zu wagen.
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Auch ausgesprochen nett
Nach einem Topo in gebundenem Format suchte man früher erfolglos.
Es war Gang und Gäbe Routeninfos mündlich auszutauschen. Was man wusste wurde
weitererzählt, was nicht, wurde erfragt.
Und der Rest wurde probiert und diskutiert. Schwierigkeitsgrade unterlagen
somit auch größeren Schwankungen. Ihnen wurde daher eine wesentlich geringere
Bedeutung beigemessen. Die vermutetet Bewertung war lediglich ein Indikator
dafür, ob man in eine Route einstieg oder es ehrfürchtig sein ließ.
Vielleicht hat eben dies auch dazu beigetragen, dass
Gerolstein an Popularität eingebüßt hat. Denn auch im Klettersport spielen Leistung,
Vergleich und eben Grade eine wichtige Rolle.
Bei entsprechender Recherche im Internet stößt man
inzwischen auf einen liebevoll gepflegten, handgezeichneten, von privater Hand
erstellten Topo. Auch dieser verspricht keine Vollständigkeit aber dient mit
Sicherheit einer groben Orientierung für Gebietsneulinge. Und nicht der zuletzt
erschienene Topo „Das beste im Westen“ gibt einen Überblick darüber, was man in
Gerolstein klettern kann.
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Perfekte Versorgung
Zu guter Letzt sei erwähnt, dass wohl kein anderes eifler
Klettergebiet eine so erstklassige medizinische Erstversorgung bietet. Das
Gerolsteiner Krankenhaus befindet sich gerademal einen Dolomitsteinwurf
entfernt der Hustley. Es sei jedoch zu hoffen, dass man sich lediglich des
Vorteils bedient, an heißen Tagen kalte Erfrischungsgetränke am
Krankenhauskiosk erwerben zu können.
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