Mittwoch, 15. Mai 2013

Roadtrip




Südfrankreich ist ja so was von out

Der Felsriegel von Buoux
Was in den 80ern in war, war in den 90ern längst passé. In den 2000ern war dann alles aus dem alten Jahrtausend vollkommen abgesagt, kam jedoch zum Teil in den 2010ern unter dem Label „retro“ zurück. Dies gilt nicht nur für Hosen, Pullis, Anzüge und Kleider, sondern auch für Klettergebiete und damit zwangsläufig für bestimmte Arten von Klettereien.
La derriere problem des alpes 6b+
Was Ende der 19hunderter Südfrankreich für die Kletterwelt war, zumindest für die europäische, sind seit dem Millennium längst Kalymnos, Rodellar und sämtliche katalanischen Ultrahardmoverspots mit sharmaschen und andradaschen Promibonus geworden.
Das Wissen um diese Trends mache ich mir gerne zunutze und plane meine Kletterreisen antizyklisch. Denn der Besuch von den gerade schwer angesagten Gebieten hat so manche Nebenwirkung.
So wird der angestrebte Onsight mit den prüfenden Blicken der Wohlgesonnenheit vorgaukelnden Kontrahenten im Rücken gleich erheblich schwerer, wenn er nicht durch spontane „Du musst in den Untergriff kreuzen!“- Zurufe zunichte gemacht wird. Hat man es dann doch mal geschafft, in einem Anflug von Kletterflow-Erlebnis die Welt um sich herum zu vergessen, wird man meist jäh durch ein „Come on Oida, geht schoa!“ oder „Schiggeding“ (je nach Angesagtheit der aktuellen Klettermovies) ins Hier und Jetzt zurückgeholt.
Der Zustieg geht auch einfacher!
Das Projektieren von Routen gestaltet sich meist noch beschwerlicher. Denn abgesehen von Wartezeiten zwischen den einzelnen Versuchen, welche die Muskulatur auch bei 30 °C im Schatten wieder erkalten lässt, wird man von Mitstreitern regelrecht auf Linie gebracht. Man hat noch nicht begonnen, die Krux auszubouldern, da wird einem schon die einzig kletterbare Lösung nahegebracht, sodass kein Zweifel bleibt, dass ein Probieren von möglichen Alternativen nicht nur als unhöflich, sondern geradezu dreist empfunden würde. Immerhin dient das eigene Scheitern an der aufgezwungenen Zugabfolge dem guten Zweck, das Ego des Ansagers ein wenig zu stabilisieren und aufzupolieren.
Apropos scheitern: Nicht nur, dass man sich mit dem eigenen Erfolg oder Scheitern auseinandersetzen muss. Man darf stets am emotionalen Zustand der anderen Vertikalsportler teilhaben. Geteiltes Leid ist eben halbes Leid und geteiltes Glück ist doppeltes Glück, so scheint das Motto zu sein. So ist es Usus, alle Anwesenden mit regelmäßigem und lautstarkem Statusreport auf dem Laufenden zu halten. Ein lautes „Fuck!“ unterstreicht ausdruckstark die Verärgerung oder Verwunderung über das Scheitern in der Route, die man doch eigentlich locker beherrschen müsste. Anschließend kann es nützlich sein, einen detaillierten Bericht über die schlechten Bedingungen bis in den letzten Winkel des Gebietes dringen zu lassen. Ein lautstarkes „Yes!“ hingegen hebt den eigenen Erfolg in einem langen Projekt heraus und sorgt für ausreichend Anerkennung und Gratulation.

Volx
Das Gegenmittel zu diesen Nebenwirkungen heißt antizyklisches Klettern, also genau dort hinzureisen, wo sich die Massen gerade nicht aufhalten.
Nachdem in diesem Frühjahr der geplante Trip in den allzeit unpopulären Peak District aufgrund der Meldungen über im Schnee vergrabener Schafherden in der Nähe von Sheffield neu diskutiert wurde, kam die Idee auf, nach über zehn Jahren der Provence mal wieder einen Besuch abzustatten und die So-was-von-megaout-Gebiete im Val de Luberon zu besuchen. Ein Indikator für das nicht Angesagtsein war meine Google- Bildersuche, die lediglich Fotos von Kletterern in engsitzenden schillernd pinken Lycras und luftig wehenden Muscle-shirts an den glatten Fassaden der buouxschen Felsen offerierte.
Steiles Gemäuer in Volx (7b+)...
Obwohl das Wetter dem glich, was wir normalerweise zu dieser Jahreszeit in Nordengland erwartet hätten, war es herrlich, die Provence kletternd neu zu entdecken. Und erstaunlicherweise mussten wir feststellen, dass zumindest Buoux gar nicht so wenig angesagt war, wie man meint. So traf man doch direkt mehrere Kletterer, deren Namen der internationalen Kletterpresse bekannt sein dürften. Auch ansonsten verlustierten sich viele Vertikalisten aller Könnensstufen an den rund geschliffenen, so abweisend wirkenden Wänden zwischen Apt und Bonnieux. Und das, obwohl die Kletterei so gar nicht dem moderne Idealbild eines Klettergebietes entspricht. Während die Herren Moffatt und Moon in den 80ern noch ihre wahre Freude an der technischen Kletterei an senkrechten und leicht überhängenden Platten hatten, auf denen Anzahl und Größe der kaum vorhandenen Löcher die Schwierigkeit definieren, entstehen heutige High-End-Routen gerne an langen überhängenden Ausdauerhämmern, die auf 60 Metern Routenlänge gerade mal eine Höhe von 20 Metern erreichen. Also kurz gesagt, äußerst unpopuläre, aber nicht uninteressante Routen findet man in Buoux. Insbesondere die Sektoren Condor, Styx und Bout du monde warten mit echten Klassikern wie „Dresden“ (7a), „Rêve du papillon“ (8a), „Chouca“ (8a+) oder „La rose et le vampire“ (8b) auf.
La bout du monde
Ganz anders sah unser Besuch in Volx aus. Obwohl es sich keine 50 km von Buoux entfernt befindet und obwohl auch hier mit dem britisch-französischen Battle um „Plafond“ vulgo „Maginot Line“ (8c) und „Superplafond“ (8c+) Klettergeschichte geschrieben wurde, waren wir jedes Mal die einzigen Kletterer im Gebiet. Und das obwohl hier im Sektor „Grand Grotte“ unzählige steile Routen hauptsächlich im siebten und achten Franzosengrad zu finden sind. Trotzdem das Treiben in den 80ern und 90ern eine gehörig marmorierte Patina auf den Griffen von Volx hinterlassen hat, gefiel uns ausnahmslos jede Route in diesem fantastischen Gebiet. Schon die Aufwärmroute „Hot Spot“ (6b+) machte ihrem Namen alle Ehre und stimmte auf das ein, was da noch kommen sollte. Aufgrund der vielen nassen Routen nach einem auch in Südeuropa durchwachsenen Frühjahr war unsere Auswahl leider etwas eingeschränkt. Doch dieser Umstand zwang uns dann in die Route „Spinoza“ (7b+), die sich als eine wirklich tolle Route mit irren boulderigen Dachzügen zu Beginn und wackeligen, technischen Rausschmeißerzügen kurz vor dem Umlenker entpuppt und dem Wiederholungsaspiranten volle Konzentration vom ersten bis zum letzten Zug abverlangt.
...lädt zum Victory-Jump!
Leider dauerte unsere Reise ins Land des Lavendels, der schmackhaften Kräuter und des kräftigen Rotweins nur eine Woche. Aber ich hoffe, dass die Provence als Kletterregion noch ein Weilchen benötigt, bis sie sich als „retro“ wieder voll etabliert. Bis dahin schlüpfe ich gerne jährlich in meine pinken Lycras und mein Muscle-shirt, klettere nahezu allein in der Provence und poste die Fotos zum Beweis, dass Buoux, Volx & Co. immer  noch megaout sind.

1 Kommentar:

  1. Ach, wie gern wäre ich auch out ... besonders, wo es doch hier dauernd regnet!

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